Joe Zawinul

APA/HERBERT PFARRHOFER

Ö1 extra

Spielen, was im Herzen ist. Joe Zawinul - 1932-2007

Ein Gitarrenakkord. Bescheiden, schüchtern, gschamig. Ein paar luftige Keyboard-Töne dazu. Ein Kontrabasston, mit dem Bogen endlos lang gestrichen, als Grundfarbe. Wie ein impressionistisches Gemälde kann ich das Geschehen ansehen, es zieht nicht an mir vorbei, es schwebt vor mir. Der Stadtpark im Nebel. Und dann geht die Sonne auf. Goldfarben, wie das Material aus dem sie gemacht ist. Miles Davis- Trompete.

Kaum zu glauben: Das Stück ist nur fünf Jahre jünger als ich selbst: "ln A Silent Way". John Mclaughlin. Herbie Hancock. Dave Holland. Miles Davis. Und der Komponist: Josef Zawinul. (Tatsächlich, auf dem LP-Cover heißt er noch Josef nicht Joe.)

Mit Zawinul verbinde ich seit meiner Mittelschulzeit zuallererst: Gottesdienst. Ein Prediger (Saxofonist Julian CannonbalI Adderley) erzählt seiner Gemeinde etwas von der Unbill des Lebens, im Hintergrund beginnt die Band zu spielen, und Adderley verkündet der ekstatischen Menge, er habe einen Ratschlag für alle. "I got it from my pianist, Joe Zawinul". Mercy, Mercy, Mercy.

"Brother Joe", der in den 60er Jahren völlig selbstverständlich in die schwarze Jazz-Szene Eingang fand. Als der Journalist Orin Keepnews nach einem Konzert der Cannonball Adderley Band mit den Musikern in einem Soul-Food-Restaurant zu Abend aß, meinte er, in die Runde blickend, er, Keepnews, sei hier der einzige "white man", der einzige Weiße, denn "Zawinul doesn't count" -"Zawinul zählt nicht".

Damals: Josef Zawinuls Biografie

Die Geschichte eines Musikers, der Geschichten erzählen will. Um nicht zu sagen: Wuchteln scheiben. Sie sollen von ihm sein, selbst erfunden, selbst formuliert; vielleicht wollte er deswegen kein klassischer Pianist werden, auch wenn er zu den großen "Hoffnungen" der klassischen Musikszene nach 1945 zählte. "Sei glücklich, aber nie zufrieden", ist das immer wieder zitierte Lebensmotto Zawinuls. Über die Situation der Jazzmusiker in Deutschland und Österreich sagte er, die seien zufrieden, aber nicht glücklich gewesen. ln den 50er .Jahren hatte er bereits in allen maßgebÌichen Jazzformationen Osterreichs gespielt.

Doch wenn nichts weiter ging, dann ging er. Am 27.7.1959 kommt er in New York an; und es beginnt jener oft beschriebene, oft bestaunte und nach wie vor kaum fassbare Reigen an Namen: Duke Ellington, Dinah Washington (er wirkt bei "What A Difference A Day Makes" mit), Cannonball Adderley, Miles Davis, Thelonious Monk, Wayne Shorter, bis herauf in die 90er Jahre, Bobby McFerrin, Salif Keita und, und und.

Zawinul hat sie alte gekannt, hat mit ihnen gespielt, gegessen, getrunken, geboxt, mit ihnen Geschichten erzählt. Wie kam das? War er einfach ein grandioser Pianist? Der beste Keyboarder aller Zeiten? Ein hervorragender Side-Man? Ein kompetenter Arrangeur? Ein guter Komponist? Er war das alles. Doch vielleicht lagen die wahren Gründe der unaufhaltsamen Karriere des schnurrbärtigen Mannes an den Tasten ganz woanders: Joe Zawinul stand mit beiden Beinen auf der Erde, war treu und schonungslos offen. Er hat sich nie geschlichen, ohne unumwunden zu sagen, warum.

Er hat zwar mit vielen Musikern gespielt, aber im Wesentlichen nur mit wenigen Bands, und mit denen über lange Zeit hinweg. Fast zehn Jahre mit den Adderleys, 14 Jahre mit Weather Report. Das Duo Wayne Shorter & Joe ZawinuI ist seither ein Archetyp des Jazz geworden. Der Saxofonist und der Keyboarder. Weather Report war eine Jazzband mit Rock'n'Roll-Besetzung, sagte Joe Zawinul. Und nicht nur die erfolgreichste Band jener Musik, die als "Jazz Rock" bezeichnet wurde. Weather Report spielte etwa zweimal hintereinander im ausverkauften Madison Square Garden.

Zawinul, der Komponist

Neue Stücke entstanden nicht am Papier, sondern an den Tasten – ein Einfall wurde per lmprovisation zum Klingen gebracht. Später folgte das oft extrem mühsame Abschreiben der extemporierten Töne. Vielleicht sind Zawinuls Kompositionen deswegen so reich an Farben, die ihm oft mehr zu bedeuten schienen als Melodien. Oft spielt die linke Hand eine größere Rolle als die rechte - Zawinuls Gefühl für Bass-Läufe hatte ihm stets Bewunderung eingetragen. Birdland erkennt man im Endeffekt an den ersten drei Noten, im Bass.

Miles Davis schrieb ihm später auf das Plattencover der ersten Solo-LP: "Um solche Musik schreiben zu können, muss man innerlich frei sein, muss man Josef Zawinul sein mit zwei braunen Kindern, einer schwarzen Frau, zwei Klavieren; muss man aus Wien sein, ein Krebs und Klischeefrei".