Philippe Djian

AFP/JOEL SAGET

Tonspuren

Französische Wochen in den Tonspuren

Im Juli präsentiert das Ö1 Literaturfeature vier große Persönlichkeiten der neueren französischen Literatur: Nathalie Sarraute, Philippe Djian, Henri Chopin und Michel Houllebecq.

Die Anti-Autorin

Den Anfang macht die „Anti-Autorin“ Nathalie Sarraute, die mit mikroskopischen Prosastudien seelische Vorgänge zu beschreiben versuchte. Die in Russland geborene französische Schriftstellerin starb im Herbst 1999 in Paris im biblischen Alter von 99 Jahren. In Frankreich galt Nathalie Sarraute bereits zu Lebzeiten als Legende. Ende der 1930er Jahre erscheint ihr erstes Buch "Tropismen" - Momentaufnahmen aus dem Leben bürgerlicher Familien in Paris. Es gilt als Vorwegnahme des Noveau Roman, jener radikalen Bewegung, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts den literarischen Realismus bekämpfte und nach einer neuen Art von Beziehung zwischen Schriftstellern und ihren Lesern suchte.

„Tropismen“, das sind Empfindungen, kleine Bewegungen in der Seele, die uns kaum bewusst sind, sagt Sarraute im Tonspuren-Portrait der vielfach preisgekrönten Feature Autorin Kaye Mortley. Mortley hat die „Anti-Autorin“ Sarraute mehrfach besucht, und erinnert sich in ihrem akustischen Stimmungsbild an eine Autorin, die mit ihren Werken vor allem Seelenzustände beschreiben wollte. Winzige Regungen , die manchmal nicht einmal an die Oberfläche der Psyche durchstoßen.

Der James Dean der Literatur

Weiter geht es mit Philippe Djian, dem „James Dean der Literatur“, der mit "Betty Blue" einen Welterfolg landete und in seinen Büchern die Vibrationen der Welt erfahrbar machen möchte. Eigentlich wäre Philippe Djian gerne Musiker geworden. Daraus wurde aber nichts, weil er auf einem Ohr taub ist. Stattdessen wurde er Schriftsteller und verfasste mehr als 20 Bücher, die nicht zuletzt auch wegen ihrer Musikalität gepriesen werden.

"Es geht mir immer auch um den Klang der Wörter, um den Rhythmus der Sprache", sagt der 1949 in Paris geborene Autor. "Ich glaube, dass die Welt eine Vibration ist", so Djian, "und ich weiß, dass die Phrasen, die ich schreibe, zu einem bestimmten Zeitpunkt mit derselben Intensität vibrieren". Mit "37,2° am Morgen" gelang ihm der erfolgreichste französische Roman der 1980er Jahre. Einen Autor, der am liebsten von Abhängigkeiten, Besessenheit und Leidenschaft erzählt und dessen Protagonisten zuweilen auch deftig werden können. Wie meinte ein Kritiker einmal? "Keiner hängt dem saftigen Leben sprachlich so dicht unterm Getriebe wie Djian".

Der Pionier der akustische Poesie

Henri Chopin gilt als der Pionier der akustischen Poesie. Einmal führte er sich ein Mikrofon in den Magen ein, um die Geräusche im Körperinneren aufzunehmen und seine Gedichte pflegte er nicht nur mit seiner Stimme, sondern mit seinem ganzen Körper vorzutragen. Im Paris der 1950er Jahre hat er als Mitglied der "Poetes Sonores" die Schriftkultur für beendet erklärt. Rund 80 CDs und Schallplatten zählen zu seinem Ouvre. Eva Roither hat ein Porträt des "konsequentesten Künstlers des vergangenen Jahrhunderts" (Christian Ide Hintze) gestaltet.

Der Provokateur

Und schließlich Michel Houellebecq, der Provokateur, der schon mit seinem ersten großen Erfolg, den „Elementarteilchen“, für Empörung sorgte, war doch nicht auszuschließen, dass er das, was er seinen Figuren in den Mund legt, selber denkt. Mehr als 400.000 Exemplare wurden allein in Frankreich verkauft, es folgten Übersetzungen in 22 Sprachen. "Elementarteilchen" ist ein literarisches Zeit- und Zerrbild der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, in dem Houellebecq literarisch über Leichen geht.

So macht er die Wiener Aktionisten für die Serienmörder und Satanisten als Vorläufer dingfest, denn "unter dem Deckmantel eines Happenings hatten die Wiener Aktionisten Nitsch, Muehl oder Schwarzkogler öffentlich Tiermassaker vollzogen...". Allerdings war es ein Skandalerfolg, den er mit "Die Unterwerfung" noch einmal überbieten sollte: In dem 2015 erschienenen Roman schildert dieser Autor, der die Provokation liebt, wie kein anderer, ein muslimisch gewordenes Frankreich.