Jonas Akanno und Branislav Zdravkovic präsentieren die Gebärde für "gehört!"

NINA PRASSE

Dimensionen

Wie Gehörlose Musik machen und wahrnehmen

Wer nicht hören kann, muss fühlen. Diese eigentlich negativ besetzte Redensart bringt das MusikERleben von Gehörlosen auf den Punkt: Sie können auch ohne! Denn Töne wahrnehmen hängt nicht allein vom Hörvermögen ab. Hätte der taube Beethoven sonst komponieren können?

Jonas Akanno, genannt "Jonchi", liebt das Tanzen. Zum Rhythmus der traditionellen Volkstänze in seiner Heimat Nigeria schwangen allerdings nur seine Eltern die Hüften. Jonchi saß stattdessen vor dem Fernseher und schaute gebannt auf die Choreografien in den Musikvideos auf MTV. Bis zu seinem vierten Lebensjahr konnte Jonchi noch hören. Dann wurde er ernsthaft krank und fiel ins Koma. Zur Überraschung der Ärzte erwachte er zwar, jedoch stumm und gehörlos.

Unter der Schirmmütze mustern mich dunkelbraune Kulleraugen. Er grinst, und macht dabei mehrere Handbewegungen.
"Das D da, steht für deaf, gehörlos, ist Englisch!"
Ich drehe mich um.
Die Übersetzer-Stimme aus dem OFF kommt von Brani, seinem Förderer und Tanzpartner. Branislav "Brani" Zdravkovic ist hörend, ein Coda, d.h. Kind gehörloser Eltern und Österreichs bekanntester Gebärdensprach-Künstler.

Wir müssen noch üben

"Jonchi hat gerade gesagt, dass er auch den Wow-Effekt will. Auf der Bühne, so wie bei mir", lächelt Brani verschmitzt, "aber in erster Linie geht es ihm darum, seine Muttersprache bekannt zu machen. Wir müssen aber noch üben, denn das mit den beiden Gehirnhälften, funktioniert noch nicht so bei ihm."

Mit den beiden Gehirnhälften? Inwiefern die Rechte mit der Linken zusammenarbeitet? Welche entscheidende Rolle spielt das Gehirn überhaupt bei der Wahrnehmung von Musik? Denn ganz offensichtlich nehmen Gehörlose Musik wahr, sie erleben sie aktiv, sie tanzen, sie spielen Instrumente.

Musikverarbeitung im Gehirn

Markus Kranzler ist angehender Doktorrand in Mikrobiologie und durch eine nicht ausgeheilte Mittelohrentzündung im Alter von zwei Jahren fast ertaubt. Obgleich er über sein linkes Ohr noch ein Hörvermögen von 20 Prozent hat, spielt er begeistert Schlagzeug, bringt sich dazu autodidaktisch das Gitarrenspiel bei und komponiert einen Song mit dem Titel "I vasteh di ned". Ist etwa durch seine analytische Denkarbeit im Beruf sein Gehirn so gut trainiert, als dass er dazu keine Hilfe braucht?

Was bedeutet das für Jonchi, wenn er in seinem Tanz Text einbaut, und diesen mit der Sprache seiner Hände kommuniziert? Nutzt er dafür vielleicht doch das Gehör von seinem Kumpel Brani? Unterliegen wir, als Hörende, in der Analyse dieser exemplarischen Phänomene generell unseren Vorurteilen?

Musikverarbeitung im Gehirn sei ein hochkreativer Vorgang, so Musik- und Bewegungspädagogin Ulrike Stelzhammer. So haben amerikanische Forscher zum Beispiel festgestellt, dass beim Hören von Musik bei Hörenden und Gehörlosen zwar wie zu erwarten ein Hirnareal aktiv ist, das für die Wahrnehmung von Vibrationen zuständig ist. Im Gegensatz zu den Hörenden zeigen die Gehörlosen jedoch auch eine Tätigkeit im so genannten auditorischen Kortex, der normalerweise der Verarbeitung akustischer Reize dient. Das deutet darauf hin, dass sich das Gehirn durch eine Neuorganisation der Taubheit anpassen kann. Durch die veränderte Nutzung können Gehörlose nach Ansicht der Forscher Musik ähnlich gut erkennen wie andere Menschen: "Die Wahrnehmung der musikalischen Vibrationen ist vermutlich genau so real wie die der entsprechenden Töne, da sie im selben Teil des Gehirns verarbeitet werden."

Gestaltung: Nina Prasse

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Österreichischer Gehörlosenbund