Kunstkopfmikrophon

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Zeit-Ton

Atemberaubendes Kopfkino

Eines der Hauptprojekte bei Wien Modern war in diesem Jahr die Aufführung von Olga Neuwirths "Le Encantadas". Mit diesem Werk hat die österreichische Komponistin eine akustische Reise durch einen Klang-Archipel gestaltet. Dass das 70-minütige Werk ganz ohne Bilder zum atemberaubenden Kopfkino wurde, verdankte sich nicht zuletzt ausgefeilter Raumklang-Technik: Mit dem Pariser Ircam hat Neuwirth die aus allen Richtungen kommenden Glockenklänge in der Lagune ihrer langjährigen Wahlheimat Venedig räumlich präzise eingefangen.

Von Venedig nach Wien

Zudem wurde die Raumakustik der Chiesa di San Lorenzo, in der sie als 16-Jährige eine Aufführung von Luigi Nonos "Prometeo" gehört hatte, für das Projekt so präzise vermessen, dass sie sich mit Hilfe einer Ambisonic-Lautsprechermatrix in der Halle E des Museumsquartiers täuschend echt simulieren ließ. Ö1 hat dieses Konzert mit Hilfe einer Kunstkopf-Mikrofonierung aufgezeichnet.

Kopfhörer auf!

"Zeit-Ton" bietet damit die einmalige Möglichkeit, dieses faszinierende Werk der Komponistin Olga Neuwirth mit Raumklang-Effekt zu hören. Alles, was Sie dazu brauchen ist ein Kopfhörer. Möglich macht das eine spezielle Technik, die in der Halle E zum Einsatz kam.

Das Konzert wurde mit einem Kunstkopf mitgeschnitten. Bei einem Kunstkopf sind die Mikrofone in den Ohrgängen eines Kunststoff-Kopfes eingebaut. Damit wirkt die abschattende Wirkung des Kopfes und der Ohren, was ein Richtungshören ermöglicht – wenn man die Aufnahme mit Kopfhörern hört. Bei Wiedergabe über Lautsprecher ist dieser Effekt nicht wirksam.

von

Spiel mit Räumen

"Le Encantadas" ist auf mehreren Ebenen räumlich: Die Musikerinnen und Musiker sind rund um das Publikum im Raum verteilt. Dazu kommen mehrkanalige Field-Recordings der Stadt Venedig, die Neuwirth aufgenommen hat. Die Technik des Ircam macht es möglich, dass die Instrumentenklänge per Computer so verändert werden, dass sie klingen, als spielten die Musiker in einem anderen Raum.

Das Stück versetzt uns nämlich akustisch in die Chiesa di San Lorenzo in Venedig. Da diese Kirche für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, wollte die Komponistin "akustische Denkmalpflege" leisten, damit diese besondere, transparente Akustik nicht verloren geht.

Möglich gemacht hat das Markus Noisternig, der am Ircam forscht und auf die Reproduktion und Gestaltung von künstlichen Raumakustiken spezialisiert ist.

Akustik transportieren

Markus Noisternig über den Rechenaufwand, den die Raumklang-Technik erfordert.

Die Kirche wurde zunächst akustisch vermessen. Mit diesen Daten ist es möglich, einen Computer so zu programmieren, dass er die Akustik dieser Kirche reproduziert. Das passiert in Echtzeit: Die Klänge, die die Musikerinnen und Musiker in der Halle E des Museumsquartiers produziert haben, wurden aufgenommen, im Computer umgerechnet und per Lautsprecher so verändert wiedergegeben, dass man den Eindruck bekommt, sie würden in der Chiesa di San Lorenzo spielen.

Keine klassische Aufnahme

Markus Noisternig erläutert die akustische Reproduktion der Kirchenakustik.

Welche Klänge in diesem virtuellen Raum zu hören sein werden, das hat die Komponistin in einem Gespräch mit Rainer Elstner erläutert.

Olga Neuwirth

Über Venedig, den Raum der Glocken, die Ruhe der Lagune, den Lärm der Menschen, literarische Bezüge uvm.