"I'll Be Your Girl" - Albumcover der Decembrists (Ausschnitt)

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I'll be your girl

Neues Album der Decemberists

Epische Songtexte gewürzt mit mehr als einem Hauch Ironie, und akustische Gitarren, die ihre Hälse gleichzeitig in Richtung Folk und Pop recken - dafür stehen seit 18 Jahren The Decemberists aus dem US-amerikanischen Portland. Jetzt ist ihr mittlerweile achtes Album "I’ll be your girl" erschienen.

Morgenjournal | 19 03 2018

Wolfgang Popp

Die Arbeit daran haben sie während des US-Präsidentenwahlkampfs begonnen, und das hat seine Spuren hinterlassen. Aber auch musikalisch klingen die Decemberists auf ihrem neuen Album als wären sie zu neuen Ufern aufgebrochen. Ö1 hat Colin Meloy, den Sänger der Band telefonisch erreicht und mit ihm über Donald Trump, Bart Simpson und slawische Wassergeister gesprochen.

Kulturjournal | 19 03 | Interview

Ö1: Das neue Album "I’ll be your girl" hört sich an als hätten die Decemberists musikalisch eine neue Richtung eingeschlagen. Wohin sollte die Reise gehen?

Colin Meloy: Das wussten wir im Vorfeld auch nicht. Das hat sich erst im Studio während der Aufnahmen organisch entwickelt. Uns war nur klar, dass wir uns nicht wiederholen wollten, und deshalb haben wir uns ein neues Studio und einen neuen Produzenten gesucht. Dann brachten wir aber auch selbst neue Instrumente mit und vor allem das innere Bedürfnis, Neues auszuprobieren.

Ö1: Besonders auf der Single "Severed" fallen die Synthesizer auf, dort, wo früher akustische Gitarren waren.

CM: Da haben wir zu Beginn einfach gejammt und Dinge ausprobiert. Für unsere Verhältnisse klang das wie ein Punk-Song, mit jedem von uns an irgendeinem elektronischen Instrument. Jenny ist dann auf ihrem Synthesizer mit dieser Arpeggio-Technik angekommen und ich hatte die Idee, sie doch wie bei einem New-Order-Song anzuwenden.

Colin Meloy beim Bonnaroo Music Festival in Manchester (2011)

Colin Meloy

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Ö1: Schwebten Ihnen für das Album ein bestimmtes Bild oder eine bestimmte Atmosphäre vor?

CM: Ich bin mir nicht sicher. Vieles kommt ja aus den Songs, die ich schon vor den Aufnahmen geschrieben habe. In ihnen steckte so eine verspielte Ironie und die gab, glaube ich, die Route vor. Wir haben dann versucht, Arrangements zu finden, die diese Stimmung noch verstärkten.

Ö1: Apropos Ironie: Es fällt auf, dass die schwungvolle Musik oft im Gegensatz zu den düster-pessimistischen Texten steht - was steckt da dahinter?

CM: Ich glaube, das ist eine etwas in Vergessenheit geratene Tradition in der Pop-Musik. Schon die Beatles haben ja in ihrem Song "Maxwell’s Silver Hammer" in düsteren Lyrics über einen Hammermörder erzählt, während die Musik fröhlich, ja fast kindlich dahergekommen ist. Etwas Ähnliches haben wir eigentlich von Anfang an gemacht, auf diesem Album halt noch eine Spur mehr als sonst.

Ö1: Das Album-Cover mit seinen verrückten Formen und Farben erinnert auch an die psychedelischen Eskapaden der 60er Jahre.

CM: Ich habe 2016 ein Thanksgiving-Abendessen veranstaltet, das war kurz nach den Präsidentschaftswahlen. Damals habe ich große Papierbögen auf den Tisch gelegt und unsere Gäste, unter ihnen viele Illustratoren, haben darauf herumgezeichnet. Am Ende der Nacht hatten wir dann dieses verrückte, psychedelische Kaleidoskop aus Trumps, Bart Simpsons und Garfields zusammen und darauf aufbauend haben wir unser Album-Cover gestaltet.

Ö1: Unter den Songwritern gelten sie als Geschichtenerzähler. Sie schreiben auch Kinderbücher, hängt das damit zusammen?

CM: Ich liebe einfach Geschichten. Schon in meiner Kindheit habe ich kurze Geschichten und Theaterstücke geschrieben. Das ist also immer da und findet auf die eine oder andere Weise seinen Ausdruck.

Ö1: Vor allem der Song "Rusalka" ist beinahe episch in seiner Erzählung. Woher kommt ihre Faszination für Mythen und Fabelwesen?

CM: Mich interessieren ältere Formen des Geschichtenerzählens, Sagen und Legenden, in denen Archetypen eine Rolle spielen. Und bei den Rusalkas handelt es sich um die slawische Version eines Archetyps, der sich fast auf der ganzen Welt finden lässt, und zwar um einen mächtigen und gefährlichen weiblichen Wassergeist. Den fand ich so interessant, dass ich drum herum einen Song bauen wollte.

Ö1: Auf dem neuen Album finden sich aber auch Songs mit sehr minimalistischen Texten. Da gibt es oftmalige Wiederholungen einzelner Zeilen, was mich stark an experimentelle Lyrik erinnert hat. War das ein Einfluss?

CM: Ich mag es, mit Dingen herumzuexperimentieren, die mich herausfordern und dazu bringen, von der herkömmlichen Struktur Strophe-Refrain-Strophe-Refrain wegzukommen. Und so habe ich manchmal die Strophe gleich zum Refrain gemacht oder, wie bei "Once in my life", musikalisch einen komplexen Song gebaut, den aber mit nur wenigen Textzeilen unterlegt, die auch ausschließlich eine einzige Stimmung beschreiben.

Ö1: Sie leben und musizieren in Portland, Oregon, einer Stadt im äußersten Nordwesten der USA, die als kulturelles Zentrum der Region, aber auch als politische Insel der Seligen gilt. Wie ist dort derzeit die Stimmung?

CM: Es ist eine kleine Bastion gegen den Konservativismus. Nach der Wahl war es angenehm von Menschen umringt zu sein, die dieselben Sorgen und Ängste hatten wie man selbst. Gleichzeitig fühlt man sich in dieser Blase aber ziemlich isoliert und wundert sich, wie weit weg man von den Leuten ist, die diesen Mann gewählt haben.

Ö1: Trotz des wahlbedingten Pessimismus gibt es in der Musik des neuen Albums diesen mitreißenden Optimismus. Aus welcher Richtung kommt der?

CM: Letztlich bin ich sehr hoffnungsfroh, was die derzeitige Situation betrifft. Viele hier haben den Ernst der Lage erkannt und realisiert, was passieren kann, wenn man abschaltet und sich in seine Blase zurückzieht. Den Menschen wird jetzt serviert, welches Desaster über unser System hereinbrechen kann, wenn man sich nicht engagiert. Und weil ich merke, dass dieses Bewusstsein neu erwacht, bin ich optimistisch und das klingt auch im Album an.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp