Warndreieck vor einer Unfallstelle

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eCall - der automatische Autonotruf und seine Nachteile

Seit Ende März ist der sogenannte eCall - kurz für emergency call - in der EU Pflicht: Alle neuen Autos müssen nun mit Crash-Sensoren ausgestattet sein und selbständig einen Notruf abgeben können. Eine gute Sache, wenn die Autofahrerin oder der Autofahrer bewusstlos im Wagen liegt. Eine gute Sache ist es aber auch für die Automobilindustrie, die die Notrufsysteme selbst in die Hand nimmt und sich so allerlei Daten über die eigenen Kundinnen und Kunden sichern kann.

Das Auto prallt gegen einen Baum, der Airbag bläst sich auf und die Rettung wird gerufen - und zwar vom Auto selbst. Dieses Notfallservice gibt es jetzt standardmäßig in jedem neuen Auto. Der gesetzlich vorgeschriebene eCall geht an die europäische Notrufnummer, erklärt Martin Hoffer vom Automobilclub ÖAMTC: "Dann hat prinzipiell dieser Notruf-eCall, dieser Basis-eCall, unter der Rufnummer 112 an eine Notrufstelle im Innenministerium geleitet zu werden - an Rettung, Polizei und Feuerwehr."

"Die Autohersteller können den gesetzlichen, auch datenschutzrechtlich völlig unproblematischen eCall, durch ein eigenes Notrufsystem ersetzen."

Allerdings wird das nicht der Normalfall sein, denn das Basis-System ist nicht das Einzige auf dem Markt. Die EU-Verordnung, die die eCall-Pflicht regelt, hat eine Hintertür für die Autoindustrie vorgesehen, sagt der deutsche Datenschutzexperte Volker Lüdemann im Telefoninterview: "Die Autohersteller können den gesetzlichen, auch datenschutzrechtlich völlig unproblematischen eCall, durch ein eigenes Notrufsystem ersetzen."

Kommt es zu einem Unfall und der eCall wird ausgelöst, geht der Notruf dann nicht mehr an die öffentliche Rettungsleitstelle, sondern an ein Callcenter der Herstellerfirma. Dort wird der Notruf dann weitergeleitet. Lüdemann befürchtet, dass es zu Verzögerungen kommen wird, wenn der Notruf zuerst im Callcenter landet.

Hintertür für Autohersteller

Welcher Abschleppdienst gerufen wird, welcher Hubschrauber kommt, in welche Werkstatt das Auto gebracht wird - all das liegt in diesem Fall in der Hand des Autoherstellers. Ein Zufall ist diese Hintertür nicht, sagt Lüdemann: "Und wer sich die Entstehung des Gesetzes ansieht, das war keine Idee von Politikern, sondern das war eine Idee der Automobilindustrie."

Die Förderung der Industrie ist neben der Verkehrssicherheit explizit als Ziel in der EU-Verordnung festgeschrieben. Einige Herstellerfirmen haben auch schon vor der EU-Verordnung betriebseigene eCall-Systeme angeboten. Und dabei geht es vor allem um eines: Daten. Denn während der gesetzliche Basis-eCall nur im Notfall aktiv wird und Daten an den Euronotruf sendet, sammeln die eCall-Systeme der Autohersteller auch im Alltag jede Menge Daten.

Es wird der technische Zustand des Autos permanent getrackt, sagt Martin Hoffer vom ÖAMTC: "Es werden aber auch Daten übermittelt, wie: Wie viele Personen sitzen im Fahrzeug? Es wird übermittelt, wie schnell geht der Fahrer mit dem Fahrzeug in die Kurve, wann bremst er, wie ist sein Fahrverhalten ganz allgemein." Auch wo man stehenbleibt und welche Ziele man ansteuert, ist dann ganz einfach nachzuverfolgen.

Basis eCall

Ein Recht auf den Basis-eCall gibt es. Ob das viele Konsumentinnen und Konsumenten in der Praxis nutzen werden, ist fraglich: "Gerade der Österreicher kauft gerne einen Rabatt und wenn man ihm sozusagen schmackhaft macht, um eine Hausnummer zu sagen, drei Prozent mehr kriegen Sie, wenn Sie hier auch gleich unsere Datennutzungsvereinbarung vollinhaltlich und kompromissfrei unterschreiben. Das wird schon in vielen Fällen so passieren."

Außerdem könne die Herstellerfirma auch Garantieleistungen einschränken, wenn die Fahrerin oder der Fahrer nicht alle Daten hergeben will. Bei vielen Fahrzeugen sind heute die herstellereigenen eCall-Systeme voreingestellt, etwa bei BMW, sagt der Datenschutzexperte Volker Lüdemann: "Und wenn Sie sagen, Sie wollen das nicht, dann müssen Sie in eine BMW-Werkstatt fahren, dann wird der aufwendig herausgenommen. Es kann dann sein, dass dann andere Funktionalitäten Ihres Bordsystems nicht funktionieren."

Von der BMW-Pressestelle heißt es dazu: "Stimmt nicht, ein Ausbau ist problemlos möglich." Anders klingt das beim Kundendienst des Autoherstellers, da wird man darüber informiert, dass beim Ausbau andere Funktionen verloren gehen - die Auskunft wörtlich: dann geht kein Dienst mehr. Das könnte Käuferinnen und Käufer von einer Deaktivierung des herstellereigenen Systems abhalten. Lüdemann geht daher davon aus, dass es in Zukunft kaum Fahrzeuge mit dem gesetzlichen eCall geben wird.