Mann schwenkt Fahne

NURITH WAGNER-STRAUSS

Wiener Festwochen

"Stadium" - Das Theater um das runde Leder

Was haben Fußballstadion und Theater miteinander zu tun? Offensichtlich nicht allzu viel, weshalb der französische Theatermacher Mohamed El Khatib beschlossen hat, diese beiden gegensätzlichen Welten in seinem Stück "Stadium" zusammenzuführen. Zu sehen ist es bei den Wiener Festwochen.

Morgenjournal | 29 05 2018

Wolfgang Popp

Nein, nicht um die Stars gehe es ihm und nur bedingt um das Geschehen auf dem Spielfeld, winkt Mohamed El Khatib ab, sondern um das Leben auf der Tribüne.

Wo alle Schranken fallen

Denn das Stadion habe zu Unrecht einen schlechten Ruf, und es sei an der Zeit, diesen besonderen Ort zu rehabilitieren. Mohamed El Khatib: "Die neunzig Minuten eines Fußballspiels sind ein Ausnahmezustand, weil es solche Zeiten des gemeinsamen Erlebens sonst kaum mehr gibt. Da fallen alle gesellschaftlichen Schranken, weil es passieren kann, dass ich jemanden umarme, den ich noch nie gesehen habe. Und dass die Emotionen so hochgehen, hängt damit zusammen, dass, anders als im Theater, keiner weiß, wie die Geschichte ausgehen wird, und das bedingt diese ganz eigene Stimmung aus Leidenschaft und Unsicherheit."

Geschichten zum Lachen und zum Weinen

Der leidenschaftliche Fußballfan Mohamed El Khatib, der gerne zugibt, mit Sicherheit mehr Fußballspiele zu schauen als ins Theater zu gehen, hat sich zur Vorbereitung seines Stücks dem Soziotop Stadion wie ein Anthropologe genähert.

Mohamed El Khatib: "Ich habe sehr viele Interviews geführt, um in diese Welt einzutauchen. Und bei der Auswahl des Materials für die Dialoge und Monologe auf der Bühne bin ich dem Konzept von Ariane Mnouchkine gefolgt, das heißt, ich habe Geschichten verarbeitet, die mich zum Weinen, zum Lachen, zum Nachdenken gebracht oder Klischees auf den Kopf gestellt haben."

Das Museum Tribüne

Das Stück "Stadium" folgt ganz der Chronologie eines Fußballspiels mit der Vorbereitung, den beiden Halbzeiten und der Nachbesprechung. An diesen roten Faden knüpfen sich die verschiedenen Geschichten. Mohamed El Khatib: "Dramaturgisch betrachte ich mein Stück wie einen Spaziergang durch die Porträtgalerie eines Museums, denn so wie dort Bilder verschiedener Epochen hängen, gibt es auch bei mir die 85-jährige Rentnerin neben dem siebenjährigen Urenkel. Und die Atmosphäre in meinem Tableau vivant kann intim und ernst, aber auch sehr witzig sein."

Singende Fußballfans

NURITH WAGNER-STRAUSS

Unbezahlbare Freude

Nicht selten entspringt die Liebe zu einem Verein einer Familientradition und die Erinnerungen an legendäre Spiele können deshalb bis in die Kindheit zurückreichen. Mohamed El Khatib hat sein Stück ursprünglich mit den Fans des nordfranzösischen RC Lens entwickelt, für die beiden Aufführungen in Wien aber eine eigene Version erarbeitet, in der es zur Begegnung mit österreichischen Fußballfans kommt.

Mohamed El Khatib: "Trotz der kulturellen und geografischen Distanz unterscheiden sich die französischen und österreichischen Fans kaum voneinander. Wirklich groß sind die Unterschiede innerhalb der Länder zwischen den Traditionsvereinen und den neuen reichen Clubs. Da ist es zu einem Bruch gekommen, denn in England kann sich kein Arbeiter mehr den Eintritt zu einem Fußballspiel leisten."

Weil es Mohamed El Khatib und den Wiener Festwochen aber um die Durchmischung der gesellschaftlichen Klassen geht, beginnen die Kartenpreise für "Stadium" bereits bei fünf Euro. Zu sehen ist das Stück heute und morgen Abend im Theater an der Wien.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp