JUDITH BUSS
wiener festwochen
Theater ohne Menschen
Die deutsche Regisseurin Susanne Kennedy zeigt bei den Wiener Festwochen das Stück "Die Selbstmord-Schwestern", frei nach Jeffrey Eugenides.
10. April 2019, 11:21
Kulturjournal | 01 06 2018
Der mysteriöse Selbstmord fünf junger Schwestern in einer amerikanischen Vorstadtidylle der 1970er Jahre war Thema des Romans "The Virgin Suicides" von Jeffrey Eugenides, der Ende der 1990er Jahre von Sophia Coppola verfilmt wurde. Jetzt ist das Stück bei den Wiener Festwochen (Theater Akzent) zu sehen, als Arbeit der mehrfach ausgezeichneten deutschen Regisseurin Susanne Kennedy. Die 41-Jährige, die ihren Namen einem schottischen Vater verdankt, in den Niederlanden ausgebildet wurde und heute in Berlin lebt, hat eine ganz eigene radikal-künstliche Bühnenhandschrift. Realismus ist ihr ein Gräuel, die Entnaturalisierung treibt sie ins Extrem.
Totales Theater
"Ich will das Theater nicht abschaffen, ich will totales Theater, absolutes totales Theater", sagt Susanne Kennedy. Die Kritiker sind sich einig - so etwas hat man auf einer Bühne noch nicht gesehen - sie schwanken zwischen Begeisterung, Verstörung und Ratlosigkeit und bemühen Schlagworte vom Posthumanismus, Post-Internet-Art, Hyperrealismus oder immersiven Theater.
Weg mit dem ICH
Was aber macht Susanne Kennedys Theater so speziell? Ihre Ablehnung der Identifikation, also der Möglichkeit des Zuschauers, sich in die Charaktere hineinzuversetzen und emotional mitzuleben, ist bekanntlich schon seit Brecht nichts Neues mehr. Aber Kennedy geht einen Schritt weiter - weg mit dem ICH.
Die Zeit sei reif für "neue Konventionen" am Theater, so Kennedy. Durch Internet, durch Videogames, durch YouTube kommen neue Formen auf uns zu und die Bühne muss darauf reagieren.
Diese neue Form kommt ohne alles aus, was bisher das Theater auszumachen schien - die menschliche Stimme, Bewegung, Mimik, eine Geschichte. Kennedys SchauspielerInnen ist buchstäblich alles verwehrt. Ihre Gesichter sind von Latexmasken verdeckt, ihre Stimmen kommen vom Band, (manchmal sogar von Laien eingelesen, was die Künstlichkeit betont), ihre Gesten sparsam.
JUDITH BUSS
Manga-Mädchen am LSD-Trip
Bei den "Selbstmord-Schwestern", der jüngsten Arbeit Kennedys, die voriges Jahr an Matthias Lillienthals Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurden, bleiben von der Romanvorlage von Jeffrey Eugenides nur mehr Fragmente.
Auf der grellbunten Bühne, "einer Mischung aus Flügelaltar und Flipperautomat, so kitschig wie ein Heiligenbildchen", wie ein Kritiker einmal bemerkte, bewegen sich langsam und bedächtig Manga-Mädchen mit riesigen Augen und grellen Blumenkränzen am Kopf. Gummisocken und Handschuhe sorgen dafür, dass kein einziges Stückchen Haut mehr zu sehen ist. Es gibt Texte aus dem ägyptischen Totenbuch und von Drogen Guru Timothy Leary, auf fünf Bildschirmen flimmern YouTube Videos halbwüchsiger Mädchen, und es gibt Verweise auf Kirsten Dunst, die im Film "The virgin suicides" von Sophia Coppola mitspielt.
Dass das Theater schon länger keine Antworten mehr geben will, sondern nur noch Fragen aufwerfen, ist bekannt - bei Kennedy erübrigen sich sogar die Fragen. Und so ergibt man sich dem Sog dieses Stückes, wie einem ungefährlichen LSD-Trip - lässt sich ein auf Schauen und Staunen zwischen Himmel und Hölle, Schönheit und Tod.
Frühe Arbeiten
Erstmals ist eine größere Öffentlichkeit 2013 auf Kennedy aufmerksam geworden, als sie Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt" an den Münchner Kammerspielen inszenierte und damit zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ebenso ihre Theateradaption von Rainer Werner Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok". Bei der Ruhrtriennale entstanden der installative Opernparcour "Orfeo" und "Medea.Matrix" mit Birgit Minichmayr. Und im Dezember wurde sie mit dem Europäischen Theaterpreis für Innovation ausgezeichnet, gemeinsam mit Yael Ronen oder Kiril Serebrennikov.
Gruß aus der Zukunft - Volksbühne wohin?
Weil ihre Arbeiten zwischen Bildender Kunst, Sprechtheater und Performance so gut in Chris Dercons neues Volksbühnenkonzept gepasst haben, hat er sie 2017 ins künstlerische Leitungsteam geholt. Ihr Theater sei wie ein "Gruß aus der Zukunft" - meinte er damals, nicht wissend, dass seine Zukunft an der Volksbühne wenige Monate später vorbei sein sollte. Der umstrittene Nachfolger von Volksbühnen-Langzeitintendant Frank Castorf war heftiger Kritik ausgesetzt, und trat Mitte April mit sofortiger Wirkung zurück.
Volksbühne bald weiblich?
Seit damals versucht Interimsintendant Klaus Dörr den Spielbetrieb mit Übernahmen, Eigenproduktionen und Gastspielen zu überbrücken.
Wer das Haus Zukunft führen wird, ist noch nicht bekannt - alle Beteiligten sind sich aber einig, dass die Volksbühne diverser, weiblicher und jünger werden solle. Ob das für Kennedy etwas bedeutet, die als einzige Konstante vom Team Dercon übriggeblieben ist, bleibt dahingestellt. Sicher ist, dass sie im kommenden Jahr an den Münchner Kammerspielen Tschechows "Drei Schwestern" inszenieren wird. "Die Selbstmord-Schwestern" bei den Wiener Festwochen, könnten einen Vorgeschmack darauf liefern.