Jiri Menzel und Peter Simonischek in der Natur

BARBORA JANCAROVA/TITANIC

Kino

"Dolmetscher" - Roadtrip in slowakische NS-Vergangenheit

Peter Simonischek und der tschechische Starregisseur und Schauspieler Jiri Menzel spielen die Hauptrollen in der slowakisch-tschechisch-österreichischen Koproduktion "Dolmetscher". Der slowakische Regisseurs Martin Sulik setzt sich darin intensiv mit der ambivalenten Rolle seines Landes im Nationalsozialismus auseinander.

Mittagsjournal | 18 06 2018

Judith Hoffmann

Kuluturjournal | 18 06 2018

Peter Simonischek im Gespräch über die ungewöhnlichen Produktionsbedingungen und die Notwendigkeit, sich gerade heute mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Die Pistole schon griffbereit in der Manteltasche, läutet der 80-jährige Dolmetscher Ali Ungar beim vermeintlichen Mörder seiner Eltern. Er ist eigens aus Bratislava nach Wien gereist, um ihren Tod nach Jahrzehnten zu rächen.

Der Feind in meinem Auto

Anstelle des ehemaligen SS-Befehlshabers trifft er jedoch nur dessen Sohn, den ehemaligen Lehrer Georg Graubner an, einen passionierten Lebemann mit latentem Alkoholproblem und fast unappetitlichem Faible für junge Frauen, der von den Greueltaten seines Vaters nichts wissen will.

Reka Derzi und Peter Simonischek an der Bar

BARBORA JANCAROVA/TITANIC

Doch die Begegnung weckt eine ungeahnte Neugier, und so begeben sich die Nachkommen von Opfern und Täter auf eine gemeinsame Autoreise durch nebelverhangene slowakische Hügellandschaften und halbverlassene Dörfer, treffen bei ihrer Spurensuche auf schrullige Zeitzeugen und schmerzhafte Erinnerungen, die von vielen bis heute lieber verschwiegen werden.

NS-Vergangenheit immer noch Tabuthema

Tausende slowakische Jüdinnen und Juden wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet und in Massengräbern verscharrt, während die faschistische Regierung mit den Nationalsozialisten kollaborierte. Aus Angst ums eigene Leben wurden viele zu Mittätern und Mitwissern. Und bis heute weigern sich viele - auf beiden Seiten - über die Ereignisse zu sprechen. Der Film lebt von starken Dialogen, die herkömmliche Täter-Opfer-Zuschreibungen subtil in Frage stellen und zeigen, wie stark das Kriegstrauma noch bis in die übernächste Generation hineinwirkt.

Jiri Menzel auf einer Rolltreppe mit dem Spiegelbild

BARBORA JANCAROVA/TITANIC

Regisseur Martin Sulik betont die Notwendigkeit, diesen Film gerade heute zu zeigen, während sich das Klima in Europa merklich ändert: "Immer mehr Stimmen werden laut, die an Tatsachen zweifeln, die früher unverrückbar waren; etwa wenn es um Faschismus oder wirtschaftliche Entwicklungen geht. Wir haben uns gefragt, wie sich Leute fühlen müssen, die im Krieg ihre Eltern verloren haben, wenn plötzlich alle Leute um sie herum sagen: 'Sowas passierte gar nicht.'"

Ernste Reflexion & klamaukhafte Übertreibung

Zwischen den ernsten Diskussionen und den zahlreichen musikunterlegten Landschaftsaufnahmen sorgen die unterschiedlichen Charaktere und Ansichten des ungleichen Altherrenpaars immer wieder für witzige Momente, aber auch für mancherlei klischee- und klamaukhafte Übertreibungen. Vor allem Peter Simonischek gibt zu Beginn des Films den selbstgefälligen Weiberheld, der mit unsensiblen Witzen jegliche Ernsthaftigkeit im Keim erstickt und erst im Laufe der Handlung selbst zur besonnenen Reflexion findet.

Jiri Menzel, der im letzten Moment für den erkrankten und im April verstorbenen Juraj Herz einsprang, und Peter Simonischek gelingt es als großartiges tragikomisches Reisegespann, so manche inszenatorische Peinlichkeit in schöne Kinomomente zu verwandeln. Insgesamt hätte man dem äußerst gelungenen Drehbuch allerdings eine etwas gewissenhaftere filmische Umsetzung gewünscht.

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