DAVID VISNJIC
Neue EU-Mitglieder am Horizont
Seit 1. Juli 2018 hat Österreich den EU-Vorsitz, zum mittlerweile dritten Mal. Auf der Tagesordnung stehen Brexit-Verhandlung, demnächst wird die EU ein Mitglied weniger haben. Dann wird es nur noch 27 EU-Länder geben. Aber: Es stehen neue Mitglieder am Horizont - und das schon länger.
30. Juli 2018, 02:00
Radiokolleg
Brüssel und Balkan 02 07 2018 | jeweils 09:05 Uhr
Die Westbalkanstaaten, wo rund 18 Millionen Menschen leben. Von 2007 bis 2020 will die EU als so genannte Heranführungshilfe insgesamt 23 Milliarden am Westbalkan und in der Türkei investiert haben. Geht es nach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, könnten Serbien und Montenegro bereits 2025 der Europäischen Union beitreten. "Ermunterungsdatum", nannte das der EU-Kommissionspräsident im Februar dieses Jahres.
Die offiziellen Verhandlungsgespräche mit Mazedonien und Albanien sollen 2019 beginnen. Das Datum 2025 dürfte ein sehr optimistisch gewählt sein: Einerseits, weil die EU-Mitgliedstaaten in Sachen Westbalkanstrategie uneinig sind. Andererseits, weil die Westbalkanstaaten laut EU-Befund selbst noch vor mannigfaltigen Problemen stehen. Dazu zählen: Korruption, Illiberalismus, Wirtschaft, sowie Nachbarschafts- und Grenzstreitigkeiten.
DAVID VISNJIC
Globale Konkurrenz: China, Russland, Türkei
Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren eine Lücke am Westbalkan hinterlassen. Auch, weil sie mit ihren eigenen Krisen beschäftigt gewesen ist. Allen voran der Wirtschafts- und Finanzkrise, sowie dem Brexit. China, Russland, die Türkei und die Arabischen Emirate wussten diese Lücke zu nützen. In Mazedonien und dem Kosovo sind Teile der öffentlichen Infrastruktur schon länger in türkischer Hand: Ob die Flughäfen in Prishtina und Skopje, das kosovarische Stromnetz, die Telekommunikation oder wichtige Straßenverbindungen.
Auch der russische und der chinesische Einfluss nehmen in den Westbalkanstaaten zu. Und das hat Folgen. "Denn die starken Männer vom Balkan suchen nicht nur deren Nähe, sondern übernehmen auch ihre politischen Rezepte", analysiert der Politologe Vedran Džihić. Die Qualität der Demokratie ist in den meisten Westbalkanstaaten in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Zu diesem Schluss kommt die Nichtregierungsorganisation Freedom House. Sie erstellt jedes Jahr einen Demokratiereport. Ein besonders schlechtes Zeugnis hat Serbien bekommen - dort sei man wieder auf dem Niveau von 2005 angelangt.
State Capture und dysfunktionale Staatlichkeit
Als größte überregionale Probleme gelten: Parteibuchwirtschaft und Korruption, sowie zunehmender politischer Einfluss auf Medien und Justiz. "Um die Rechtsstaatlichkeit ist es am Papier deutlich besser bestellt, als in der Praxis", sagt Marko Kmezić, der am Zentrum für Südosteuropastudien der Universität Graz forscht und lehrt: "Wenn Sie sich heute die Verfassungen und die nationalen Gesetzgebungen anschauen, sehen sie, dass sie sehr gut und präzise verfasst sind. Aber es steht die Frage im Raum, wie diese Gesetze angewendet werden und welche informellen Regeln der Herrschaft es gibt."
Die Bevölkerung habe mitunter das Gefühl, dass für die politischen und wirtschaftlichen Eliten andere, ungeschriebene Gesetze gelten, so Kmezić: "Den vielen Prozessen und Berichten unabhängiger Medien zum Trotz: Bis dato hat es in Serbien kein größeres Urteil gegen einen korrupten Politiker gegeben - das ist besorgniserregend."
Nachkriegsgerechtigkeit: Justiz und Versöhnung
Bosnier, Kosovoalbaner, Kroaten, Serben. Von 1991 bis 1999 forderten die Jugoslawischen Zerfallskriege rund 140.000 Tote. Nach wie vor gelten 12.000 Menschen als vermisst. Einige der dafür verantwortlichen Täter - und Täterinnen - wurden vor dem ICTY zur Verantwortung gezogen. Das IYTC - der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien - hat seine Arbeit abgeschlossen, langsam übernehmen regionale Gerichte am Westbalkan diese Aufgabe.
DAVID VISNJIC
Experten kritisieren seit langem, dass es am Westbalkan an politischem Willen fehle, Kriegsverbrecher aus den eigenen Reihen zu verfolgen und zu strafen. Viel lieber beschwört jede Ethnie ihre eigenen Opfer, Märtyrer und Helden - auch wenn es sich bei letzteren mitunter um Kriegsverbrecher handelt. In den Erweiterungsberichten der EU-Kommission vom Frühjahr dieses Jahres nehmen Fragen der Nachkriegsgerechtigkeit und Aussöhnung erstmals eine zentrale Rolle ein. Schließlich sollten mit einem eventuellen künftigen EU-Beitritt der Westbalkanländer keine ethnischen Konflikte in die Europäische Union importiert werden.
DAVID VISNJIC
Nachbarschaft: Grenzstreitigkeiten und Brain Drain
Der Kosovo ist nur so groß wie Niederösterreich, sein Grenz- und Nachbarschaftskonflikt mit Serbien ist aber von internationaler Relevanz. Die Außen- und Sicherheitsbeauftragte der EU bemüht sich seit 2013 im Rahmen des so genannten "Brüssler Abkommens" um Lösungen. Dennoch haben sich die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo in den vergangenen zwei Jahren deutlich verschlechtert.
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Das Vertrauen der kosovoalbanischen und kosovoserbischen Bevölkerung in die Politik liegt auf einem Tiefpunkt. Lauf Umfragen möchte die Hälfte von ihnen die Region in den kommenden fünf Jahren verlassen. Abwanderung und Brain Drain, das heißt, die Emigration von hoch qualifizierten Personen, sind in allen Westbalkanstaaten ein zentrales Problem.
DAVID VISNJIC
Bosnien-Herzegowina haben alleine im Jahr 2016 rund 300 Ärzte verlassen. Und: 70 Prozent des gesamten wissenschaftlichen Personals an den mazedonischen Hochschulen würden gerne auswandern. Wenn EU-Europa nicht auf den Westbalkan kommt, dann geht der Westbalkan eben nach EU-Europa, scheint die Devise zu lauten.