Wiener Zeitung

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Wiener Zeitung

Damoklesschwert über dem Traditionsblatt

Gegründet 1703, eingestellt nach mehr als dreihundert Jahren von der schwarz-blauen Koalition. So bitter könnte es für die Wiener Zeitung enden - wenn kein neues Geschäftsmodell vom Himmel fällt.

Die Zukunft der Wiener Zeitung ist ungewiss. Das Traditionsblatt gehört zu hundert Prozent dem Staat und ist existenziell von den Einnahmen aus Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen - zum Beispiel Jahresabschlüsse - abhängig. Für diese Veröffentlichungen sollen die Unternehmen nichts oder nicht mehr so viel zahlen – so steht es im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ.

Das Ende der Pflicht-Einnahmen

Ein Aus der Pflichtveröffentlichungen wäre fatal, weiß auch Medienminister Gernot Blümel (ÖVP). "Das bedeutet natürlich einen Finanzierungsentfall für die "Wiener Zeitung" und deswegen müssen wir uns ein langfristiges Konzept überlegen. Mir ist bewusst – und zu dieser Verantwortung stehe ich – dass die "Wiener Zeitung" als älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt etwas Besonderes ist", so Blümel beim Antritt der Regierung im Dezember 2017. Nach diesem neuen Konzept wird bereits seit Monaten hinter den Kulissen gesucht. Wie ein neues Geschäftsmodell aussehen könnte, ist offen.

Showdown um die Chefredaktion

Auf offener Bühne hat hingegen die Entlassung von Chefredakteur Reinhard Göweil stattgefunden. Eine Mitarbeiterin wirft ihm sexuelle Belästigung vor, Göweil kämpft dagegen noch vor dem Arbeitsgericht. Interimistischer Nachfolger ist Walter Hämmerle, ein integerer Journalist mit ÖVP-Hintergrund. Intern hat sich Hämmerle den Ruf eines Hardliners erworben, was Hämmerle nicht sonderlich aufregt. "Redaktionen sind per se anarchische Gebilde, die davon leben – und das macht auch ihre Stärke aus –, dass ganze viele unterschiedliche und starke Charaktere auf engem Raum zusammenarbeiten. Und trotzdem ist es unerlässlich, dass eine Redaktion als Team funktioniert", so Hämmerle im Interview mit #doublecheck.

"Die Republik immer im Kopf haben"

Hämmerle will die Wiener Zeitung angesichts der ungewissen Zukunft gut aufstellen. "Ich will, dass wir uns permanent die Frage stellen, was bedeutet es, Journalist und Teil der Redaktion der Wiener Zeitung, der Zeitung der Republik zu sein?" Das solle nicht als Einschränkung gesehen werden, sagt Hämmerle, "sondern um einen USP - einen Unique Selling Point - zu erarbeiten, um uns noch stärker zu positionieren in dieser doch sehr umkämpften Medienlandschaft".

Positives Denken ist intern angesagt

Positioniert hat sich die Wiener Zeitung zum Beispiel auch mit der 100-Tage-Bilanz der schwarz-blauen Regierung: Aus dem Textzitat "Eine gemäßigt konservative Regierung" ist der Aufmachertitel geworden, was in der Redaktion zu alles anderem als gemäßigten Reaktionen geführt haben soll. Auch ein Rundmail der Inlands-Chefin ist aufgefallen, in dem sie den "Constructive Journalism" beschwört. "Wir wollen eine ganze Zeitung mit positiven, zukunftsorientierten Geschichten füllen und dann laufend solche Stories in den Mittelpunkt stellen. Die Welt ist doch nicht so schlecht!!!!!" – steht in dem Mail.

Wechsel in der Geschäftsführung

Im Kanzleramt, wo über die erwartete definitive Bestellung von Walter Hämmerle entschieden werden wird, kommt positives Denken immer gut an. Zunächst wird aber ein neuer Geschäftsführer für die Wiener Zeitung bestellt werden. Zehn Bewerbungen sind im Büro Blümel eingetrudelt, der bisherige Geschäftsführer Wolfgang Riedler - ein früherer SPÖ-Politiker - ist nicht darunter.

Ein Blatt will sich nützlich machen

Der oder die Neue wird versuchen, die Wiener Zeitung GmbH als Informations-Dienstleister zu positionieren - das Rad neu erfinden kann man nicht. Bestehendes Know-how als Plattform für Ausschreibungen von Gemeinden und Kleinbetrieben soll besser eingesetzt werden. Man wolle sich "nützlich machen", ist wörtlich zu hören. Eine Hoffnung ist auch, dass die Regierung die Veröffentlichungspflichten durchforstet. Denn das eigentliche Problem seien nicht die Gebühren, sondern der bürokratische Aufwand, heißt es. Das neue Geschäftsmodell soll sich am Ende selbst tragen, doch ohne Abgeltungen durch den Bund wird es wohl nicht funktionieren.

Ideales Umfeld für Beißhemmung?

Ein schwieriges Umfeld - führt nicht allein die Ungewissheit über die Zukunft der Zeitung zur Beißhemmung der Redaktion? Der eine oder die andere könnten wohl in Versuchung kommen, sagt Hämmerle, aber: "Wenn der Grund ist, dass man glaubt, eine bessere persönliche oder eine bessere Zukunft für das Haus herausholen zu können, dann sind wir auf dem falschen Dampfer." Er sehe aber auch "keine Versuchungen von Seiten der Regierung, uns in diese Gasse zu locken", so der interimistische Chefredakteur.

Der knappen Kanzler-Kasse ausgeliefert

Ob und wenn ja welches Geschäftsmodell noch gefunden wird - die "Wiener Zeitung" ist in jedem Fall das beste Beispiel dafür, was mit einem Medium geschieht, das dem direkten Zugriff des Staates ausgesetzt ist. Schon unter Ex-Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) gab es die Idee, die Print-Ausgabe unter der Woche einzusparen - was wohl der Todesstoß für die älteste Zeitung der Welt wäre. Ideen wie diese sind nicht vom Tisch. Die Entscheidung fällt letztlich zwar im Aufsichtsrat, aber der ist seit Anfang Juni fest in schwarzer Hand.

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