Frauen im Obdach Ester, Küche

OBDACH WIEN

Journal Panorama

Wenn Frauen kein Zuhause haben

Laut Statistik sind Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer. Werden sie obdachlos, suchen sie dennoch viel seltener Hilfe - meistens aus Scham.

Wer sich an die Hausordnung im Tageszentrum Obdach "Ester" hält, ist in der Gumpendorferstraße in Wien-Mariahilf willkommen. Keine Waffen, keine Drogen, kein Alkohol. Sieben Tage in der Woche können hier bis zu 60 Frauen duschen, ihre Wäsche waschen, eine Kleinigkeit essen oder ein paar Stunden geschützt schlafen. Hygieneartikel werden kostenlos zur Verfügung gestellt.

Tageszentrum Obdach "Ester"

Tageszentrum Obdach "Ester"

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Die Frauen sind alle obdachlos. Im Tageszentrum können sie sich neue Kleidung holen, dürfen einen Computer benutzen, etwa um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Sie können ihre spärliche Habe in einem Spind verwahren und sie können sich von Sozialarbeitern beraten lassen: Wo finde ich einen Schlafplatz? Wo und wie kann ich um Unterstützung ansuchen? An wen wende ich mich, wenn ich psychische und gesundheitliche Probleme habe, aber nicht versichert bin?

Auch Kinder sind im "Ester" willkommen, wenn die Mütter auf sie aufpassen. Mit Beißkorb und Leine darf eine obdachlose Frau sogar ihren Hund mitnehmen. Bei Verstößen gegen die Hauordnung oder Gefährdung anderer wird ein Hausverbot ausgesprochen.

"Nach zwölf Jahren hat mein Mann gesagt: ich liebe dich nicht mehr, ich möchte, dass du ausziehst. Die Wohnung hat ihm gehört."

Scheidung, Delogierung, häusliche Gewalt, nicht verlängerte Mietverträge - es gibt unterschiedlichste Gründe, wieso Frauen plötzlich auf der Straße stehen, erklärt die Leiterin von Obdach Ester, die Sozialarbeiterin Kibar Dogan. Auch eine Lebenskrise kann zu Wohnungslosigkeit führen: Laut einer Befragung des Fonds Soziales Wien von 2016 gaben 42 Prozent der Betroffenen Jobverlust und den dadurch entstehenden Mietrückstand als Grund für den Wohnungsverlust an.

Teamleiterin Kibar Dogan

Teamleiterin Kibar Dogan

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Im letzten Winter haben laut Statistik der Gemeinde Wien 3.080 obdachlose Personen einen zur Verfügung gestellten Schlafplatz genutzt - nur 530 von ihnen waren Frauen. Für Kibar Dogan ist das nicht überraschend. Sie weiß, dass es eine hohe Dunkelziffer an "verdeckt wohnungslosen" Frauen gibt. Die gehen lieber sehr prekäre Wohnverhältnisse mit Zweckpartnerschaften oder sogar Gewaltbeziehungen ein, nur um nicht unter der Brücke schlafen zu müssen. Diese Frauen hausen oft monatelang bei - vermeintlichen - Freunden, sind nicht gemeldet, haben keinen Wohnungsschlüssel, keinen Mietvertrag und begeben sich damit in oft sehr heikle Abhängigkeiten. Viele Unterkunftgeber verlangen bald Unterordnung und Gegenleistungen: Sexuelle Gefälligkeiten etwa oder Putztätigkeiten. Oft entsteht so ein fataler Teufelskreis, der weibliche Obdachlose noch ärmer macht.

"Frauen verbleiben in der verdeckten Wohnungslosigkeit, um unsichtbar zu bleiben, um sich nicht ins Hilfesystem zu begeben." (Kibar Dogan)

Mittlerweile gibt es allein in Wien diverse Einrichtungen mit mehr als 270 Plätzen, die ausschließlich wohnungslosen Frauen vorbehalten sind. Eine davon ist die sogenannte zweite Gruft der Caritas in Ottakring. Hier werden obdachlose EU Bürgerinnen im Tageszentrum betreut. Sie können aber auch das ganze Jahr über in einem eigenen Frauenbereich, einem Schlafsaal mit Stockbetten, übernachten. Das Notquartier ist zwischen 19:00 Uhr und 7:00 Uhr geöffnet.

Im "Das Stern", einem Beratungszentrum des Roten Kreuzes für obdachlose Menschen, das in unmittelbarer Nähe des Wiener Pratersterns liegt, registrieren die Sozialarbeiter, dass die Zahl der obdachlosen Frauen deutlich steigt.

"Wo du hinkommst, jeder schaut dich an. Es ist sehr zermürbend. Man hat es uns angesehen, dass wir fertig waren mit den Nerven und von der Straße kommen."

Knapp 78 Millionen Euro hat die Stadt Wien im Vorjahr für die Wohnungslosenhilfe bereitgestellt. Von Anfang November bis Ende April greift das sogenannte "Winterpaket". Am Höhepunkt der Kältewelle im letzten Winter - im Februar gab es Tiefsttemperaturen von minus 20 Grad Celsius - standen in der Bundeshauptstadt 1.275 Plätze zur Verfügung. Die Gesamtauslastung lag bei 82 Prozent.

Im letzten Winter sind in Ungarn 149 obdachlose Menschen erfroren, acht in Tschechien, sieben in Deutschland. In Österreich keiner. Im Sommer ist die zweite Gruft zur Gänze von Spenden finanziert. Hier kann man kostenlos übernachten, es gibt Gratis-Frühstück, psychische Betreuung und neue Kleidung. Für 50 Cent kann man ein dreigängiges Menü kaufen. Eine ehrenamtliche Friseuse schneidet einmal pro Monat kostenlos Haare. Privatsphäre gibt es allerdings so gut wie keine.

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