Die Eingangstüre der Caritasnotschlafstelle a_way

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Ö1 Journale

Immer mehr Jugendliche in Notschlafstellen

Die Zahl der Jugendlichen, die in einer Notschlafstelle Zuflucht suchen, steigt. In der Wiener Notschlafstelle a_way waren es im Vorjahr 450 Jugendliche. Caritas-Verantwortliche sehen die Ursachen im steigenden Leistungsdruck, dem speziell junge Menschen mit Gewalterfahrung nicht gewachsen sind. Die Notschlafstelle bewahrt Jugendliche, die es zu Hause nicht mehr aushalten, vor der Obdachlosigkeit.

Jugendliche, die bei a_way anläuten, haben sich entschieden, Hilfe anzunehmen. Hilfe in der einzigen Notschlafstelle für unter 18-Jährige in Wien. Fünf Nächte lang, dürfen sie bleiben, erklärt uns ein 17-Jähriger und zeigt uns das Burschenzimmer Nummer 2. " Ich bin um ca. 22 Uhr eingetroffen", erzählt er, "ich war froh, dass ich ein Dach über dem Kopf habe."

Körperliche und seelische Gewalt

Eines, sagen die Verantwortlichen bei a_way haben praktisch alle 450 Jugendlichen, die im Vorjahr hier Unterschlupf fanden gemeinsam: Erfahrungen von psychischer, meist auch physischer Gewalt: "Ich habe bei einem Verwandten gewohnt, der in der Familie Gewalt ausgeübt hat", erklärt der 17-Jährige. Zehn Jahre lang habe er das aushalten müssen. "Als ich vier Jahre alt war, ist meine Mutter mit einem Freund zusammengezogen. Der hat mich geschlagen und sie hat nichts gemacht, hat sich im Zimmer eingesperrt und nichts unternommen", erzählt eine junge Frau.

Ein Jugendlicher mit Kaputzenpulli sitzt auf einem Bett in der Notschlafstelle.

In der Caritas-Notschlafstelle a_way in Wien können Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren kostenlos und anonym übernachten.

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"a_way" der Name der Einrichtung könnte für "run-away" stehen, für "davon laufen" - auch vor einem steigenden Leistungsdruck in Familien und Gesellschaft, sagt a_way-Leiter Thomas Adrian. Der Druck auf die Jugendlichen sei spürbar - wenn sie im Bildungssystem nicht funktionieren, würden sie ausgeschlossen.

Auch Kids aus gutem Elternhaus

"Scheitern hat keinen Platz in der heutigen Zeit", meint auch Claudia Amsz, Caritas-Leiterin für den Bereich Jugend und Familie. Was man dabei vergesse, sei, dass diese Kinder und Jugendlichen eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben und dann werde von ihnen erwartet, dass sie dennoch funktionieren.

"Entweder du funktionierst oder du bist selbst schuld."

Laut a_way-Leiter Adrian kommen in die Notschlafstelle auch Jugendliche aus gutem Elternhaus, die in Privatschulen gehen, aber psychische Gewalt und Leistungsduck nicht aushalten und sich zumindest für eine Nacht eine Auszeit nehmen wollen. Und Armut spiele eine große Rolle: "wo es nicht genug leistbaren Wohnraum für alle Familienmitglieder gibt oder Arbeitslosigkeit zu Streit und Gewalt führt", so Adrian.

Flucht in die Sucht

Drogenabhängigkeit spielt laut den Verantwortlichen auch eine Rolle bei vielen a_way Klienten, wenn auf Gewalterfahrungen die Flucht in die Sucht folgt. Und einige Jugendliche werden nach massiven Streitigkeiten von der Polizei von zu Hause weggewiesen und in die Notschlafstelle gebracht. "Aber da möchte ich schon klarstellen, dass bei einem Konflikt in der Familie der Jugendliche weggewiesen wird, weil man ihn nicht alleine zu Hause lassen kann", betont Adrian, "also nicht alle diese Jugendlichen sind auch wirklich die Aggressoren."

Ein Graffiti an der Wand zeigt den Schriftzug "a_way"

Vergangenes Jahr haben insgesamt 450 Jugendliche Zuflucht bei a_way gesucht.

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a_way bietet Duschen, Wäsche waschen, Kochen aber auch Beratung und Begleitung, damit die Jugendlichen Arbeit und einen Dauer-Schlafplatz finden. Der Name "a_way" steht auch für "einen Weg finden". a_way-Leiter Thomas Adrian: "Wenn man sich zum ersten Mal entscheidet, aus seiner Familie hinaus zu gehen, das ist eine Krisensituation, die braucht sehr viel Mut und die richtigen Hilfestellungen."

Fragwürdige Alternativen

Sonst drohen Obdachlosigkeit, Ausbeutung, Kriminalität und Abhängigkeiten. Die Jugendlichen gehen sonst in Wettbüros, in fragwürdige Zweckgemeinschaften, in Wohnungen, wo Übergriffe stattfinden, sagt Adrian. Bei Mädchen gebe es dann viel sexuellen Missbrauch, aber auch Burschen seien dieser Gefahr ausgesetzt. Gewalt, Drogenprobleme seien Folgeprobleme von physischer oder psychischer Gewalt.

"Der Freund meiner Mutter hat mich geschlagen und sie hat nichts gemacht."

Unsere Interviewpartner haben ganz andere Pläne: "Ich habe zum Glück eine Lehrstelle zugesagt bekommen", sagt ein 17-Jähriger und ein gleichaltriges Mädchen meint: "Ich bin so, ich muss arbeiten und will mir selbst ein Zimmer in einer WG oder eine Wohnung finanzieren."

Aber der private Wohnungsmarkt ist teuer. Laut a_way-Leiter Adrian erzählen die Jugendlichen, dass ein WG-Zimmer zwischen 400 und 500 Euro Miete kostet. Aber das Lehrgeld beträgt nur 750 Euro - 636 netto, sagt die Jugendliche - da bleibe kaum etwas für Essen.

Stabilisierungswohnen

Von den Eltern komme oft kaum Unterstützung, sagt Adrian, manchmal würden sie die Jugendlichen sogar sabotieren, ihnen nötige Dokumente nicht geben oder nicht unterschreiben, wenn ein Jugendlicher eine bestimmte Lehre machen möchte. Auch deshalb versucht a_way seit ein paar Jahren längeres Wohnen oberhalb der Notschlafstelle zu ermöglichen. Acht Betten gibt es dort, im so genannten "Stabilisierungswohnen".

"Du weißt, du kannst morgen wieder kommen", sagt Thomas Adrian zu einem der Jugendlichen. "Ja, bis morgen" sagt der - "Mach´s gut!" meint der Betreuer. Unter Tags, ist die Notschlafstelle geschlossen, auch damit die Jugendlichen nicht zu lange schlafen, sondern einen vernünftigen Rhythmus leben. Damit sie dann nicht allzu viel Zeit untätig in Parks verbringen oder auf dumme Gedanken kommen, würden sich die Caritas-Verantwortlichen aber mehr Tagesbetreuungs-Angebote wünschen.

Service

a_way - Notschlafstelle für Jugendliche

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