Ein Tisch und Stühle auf einer leeren Bühne

REINHARD WERNER, BURGTHEATER

Nationalisten im Wortlaut

"Alles kann passieren!" am Akademietheater

Rechtspopulistischen Politikern ganz genau zuhören und ihre Aussagen penibel dokumentieren: Darum geht es im Theaterstück "Alles kann passieren!" von Doron Rabinovici nach einer Idee von "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. Uraufführung war am Mittwoch im Wiener Akademietheater.

Morgenjournal | 22 11 2018

Sebastian Fleischer

Der Saal ist ausverkauft, sogar zwei offizielle Gäste haben sich eingefunden: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ist auf Einladung von Altbundespräsident Heinz Fischer extra angereist. Doch zu erleben ist kein Polit-Spektakel, sondern eine einfache Lesung. Der Inhalt: öffentliche Reden, Interviewpassagen und Postings nationalistisch gesinnter Minister, Regierungs- und Staatschefs.

"Sobald wir die Regierung bilden, wird die Polizei freie Hand beim Säubern der Stadt haben", zitiert die Schauspielerin Andrea Clausen etwa einen Twitter-Eintrag von Matteo Salvini, dem nunmehrigen Innenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Italiens, vom August 2016.

Andrea Clausen, Sabine Haupt, Stefanie Dvorak und Petra Morzé

Andrea Clausen, Sabine Haupt, Stefanie Dvorak und Petra Morzé

REINHARD WERNER, BURGTHEATER

"Wir nehmen sie ernst"

Clausen und ihre Kolleginnen Sabine Haupt, Stefanie Dvorak und Petra Morzé, alle Mitglieder des Burg-Ensembles, haben an einem Tisch auf der Bühne des Akademietheaters Platz genommen. Nüchtern, ohne emotionale Regung konfrontieren die vier Schauspielerinnen das Publikum mit öffentlichen Äußerungen von Politikern wie Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán, Polens Jarozlaw Kaczynski oder österreichischen Regierungsmitgliedern von der FPÖ.

"Wir wollen hier kein Kabarett machen", sagt Florian Klenk. Er hatte die Idee zum Politstück "Alles kann passieren!" und sieht darin eine besondere Form des investigativen Journalismus. "Wir wollen die Politiker nicht nachäffen und nachspielen. Wir nehmen sie ernst in dem, was sie sagen, und wir nehmen sie beim Wort. Es heißt ja immer wieder, die Medien lügen und verbreiten Fake News - heute machen wir etwas ganz Schlichtes: Wir lassen diese Leute sprechen."

Sie tun es im Wortlaut: "Und noch etwas ist schön, dass man an Tagen wie diesen, wo ja der nächste Flüchtlingsansturm schon vor der Tür steht, dass ma weiß, dass dieses Zelt nicht zweckentfremdet ist für ganz andere Unterbringungsarten", wiederholt Petra Morzé etwa die Worte von Herbert Kickl (FPÖ), mittlerweile Österreichs Innenminister, bei einer Festzelt-Ansprache vom 29. Juni 2017 in Wieselburg.

Bizarre Utopien

Nicht bearbeitet, lediglich gekürzt und in einen dramaturgischen Zusammenhang gebracht hat der Autor Doron Rabinovici die Aussagen der Politiker - Formulierungen einer angestrebten oder bereits realisierten Politik. Ihn habe erstaunt, wie offen gegen Medien und Kunst, Demokratie, Rechtsstaat und die Europäische Union mobilgemacht werde, so Rabinovici. "In dieser Situation wird klar, wie diese Politiker sprechen, und dass das nicht das Gerede Einzelner ist, sondern ein Stimmenorkan."

"In der Welt bleiben nur jene Gemeinschaften erhalten, die zumindest im biologischen Sinne in der Lage sind, sich selbst zu erhalten", sagte Viktor Orbán etwa bei einer Ansprache vor Studierenden in Rumänien 2017. "Und Hand aufs Herz: Ungarn ist heute noch kein solches Land."

Bizarre Gesellschaftsutopien, das Beschwören eines Volkes oder die Hetze gegen Minderheiten sind die wiederkehrenden Muster in den politischen Reden. Dem konnte und wollte man Mittwochabend im Akademietheater zwischenzeitlich nicht immer folgen - selbst wenn kurz eingeblendete Zitate von Victor Klemperer, Hannah Arendt und Erich Kästner das Publikum manchmal Atem holen ließen. Der Wiener Zsolnay-Verlag das Stück jedenfalls auch als Buch herausgebracht. Es ist dem kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugen Rudolf Gelbard gewidmet.

Service

Das Video der Veranstaltung ist auf dem YouTube-Kanal des Burgtheaters zehn Tage verfügbar.

Doron Rabinovici, Florian Klenk, "‘Alles kann passieren!‘ - Ein Polittheater", Zsolnay-Verlag

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