Margarethe Affenzeller

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Hörspielpreis der Kritik 2019 - Die Laudatio

Auf Internationalen Raumstationen gibt es keine Küchen. Es gibt ja auch keine Köche im Weltall. Und der Pizzaservice kommt es auch nur alle paar Monate. Im Siegerstück beim "Hörspielpreis der Kritik" ist das nun ganz anders: Dieses Hörspiel macht Schluss mit der lahmen Ernährung im Orbit.

Eine polnische Gourmetköchin schlägt den zweiten Bildungsweg ein und lässt sich zur Astronautin ausbilden. Sie platzt dann mit unzähligen verbotenen Lebensmitteln im Gepäck hinein in die Männerwelt auf der ISS, der Internationalen Raumstation. Ihr erstrangiges Ziel ist es: "die Russen vom Dosenfisch runterzubringen".

Damit hat keiner gerechnet, weder mit dieser Ansage noch mit einem Hörspiel wie diesem, das sich in den unendlichen Weiten der Hörspielproduktion als komödiantisches Meisterwerk behauptet. Es offenbart sich ein charmanter, aber auch unheimlicher Assoziationsraum für Gedanken über uns Menschen, unsere Rollenbilder, unser Verhältnis zum Planeten, unser gewohntes Tun und unser oft übersteigertes Selbstverständnis. Dieses Hörspiel ist unerhört, politisch unkorrekt, überraschend und unglaublich herzhaft.

Allein die Zutatenliste für den Speiseplan müsste in Houston und Moskau zu denken geben: An Bord kommt alles von dehydriertem Wasser (man stelle sich das mal kurz vor) bis zur entwässerten Kokosnussbutter und zu gefriergetrocknetem ultrahocherhitztem Bulgur und Quinoa. Gekocht wird mit Eigengas und gesalzen mit Tränen. Da können Kochshows im Fernsehen einfach nicht mithalten.

Als Radiopublikum presst man sein Ohr an einen Sciencefiction-Fantasieraum von konsequentem Understatement. Denn hier heroben in der Umlaufbahn, wo man die ausgereifteste Technik im Einsatz wähnt, sind die Herrschaften gerade bei der Rohrpost angekommen. Es kurbelt und rattert wie bei Jacques Tati. Geforscht wird zu wichtigen Themen, etwa: dem Verdauen in der Schwerelosigkeit. Dieses Aufgabengebiet obliegt dem Bordphilosophen, ein echter Kant-Schüler.

Welten rücken näher zusammen. Es greifen zu allererst die Domänen Astronautik und Kochkunst ineinander. Aber auch die analogen und digitalen Welten berühren einander, auch akustisch: Ganz unangestrengt geht der Sound des Wäscheaufhängens daheim in der Wohnung in die Weltraummission über, beides klingt ja doch verwandt. Ein raffinierter Akt der Dehierarchisierung, Welten werden gleichrangig und beschnuppern einander. Man kann sagen, der Himmelsritt ist die Neuerfindung der Weltraumküche und zugleich die Entzauberung des zuweilen verklärten Astronauten-Bildes.

Sie, die Köchin, heißt übrigens Lola Brzozadrzewska, einer der schönsten Namen mit stimmhaften S, und sie reist ganz "low-tech", braucht keine Raumschiff-Enterprise-Töne, sondern erobert sich in diesem lebendigen, weil teilweise improvisierten Hörspiel auf eigene Faust neuen Raum. Das Publikum wird Teil eines Trips, in dem die undenkbarsten Ideen Realität werden können. Der Versuchung, groteske Klanglandschaften zu kreieren, wird nicht nachgegeben. Fast alles erzählt sich über die Dialoge und Stimmen. Und über Songs.

In diesem Stück fantastischer Hörspielliteratur offenbart der Begriff "Sterneköchin" endlich seine tiefere Bedeutung. In puncto Stilmischung könnten Autoren wie Stanislaw Lem und Vladimir Sorokin Pate gestanden haben.

Wir als Jury haben sehr gerungen um eine Entscheidung, weil bis zum Schluss mindestens drei auszeichnungswürdige Arbeiten ganz an der Spitze standen. Deshalb möchte ich vor allem die Hörspiele "Aneurysma" von Stefan Weber und Alexander Stankovskis "In diesem Augenblick" hervorheben. Auch wenn diese nun verdrängt werden, so freut es mich dennoch, dass wir einer überaus würdigen Gewinnerin den Preis überreichen können. Sie hat uns insgeheim bereits im Vorjahr begeistert. Zu ihrem poppigen, aufgeweckten Hörspiel "Die Kochastronautin" gratuliere ich ganz herzlich - Mariola Brillowska.

Text: Margarethe Affenzeller