Christian Scheib und Elke Tschaikner

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Le week-end

Die wilden Achtziger

Michael Kellys Memoiren über das Wien der Jahre 1783 bis 1787.

"Mozart Sneezes"

MILTON GLASER

"Mozart Sneezes" ("Mozart niest") heißt jenes legendäre Plakat, das Milton Glaser für das New Yorker Festival Mostly Mozart 1983 entworfen hat. Selten gelang optisch der Spagat zwischen klar erkennbarer Zeitgenossenschaft einerseits und dem Spiel mit einer historischen Ikone, andererseits eleganter und witziger. Ein Spiel mit historischen Fakten und Musik aus jenen Mozart-Jahren, also aus den 1780er Jahren, aus gegenwärtiger Perspektive unternehmen auch wir in einer vierteiligen "le week-end"-Reihe im März.

Mozart niest da zwar nicht, aber er tanzt, spielt Billard, trinkt Punsch, vergießt Tränen, geriert sich wutentbrannt und "empfindlich wie reines Schießpulver", und natürlich komponiert er, improvisiert am Klavier und leitet die Uraufführung seines "Figaro".

Von Joseph II. an die Hofoper berufen

Auch Musik und Launen seiner Zeitgenoss/innen Nancy Storace, Constanze Weber, Antonio Salieri und Christoph Willibald Gluck sowie weiterer komponierender Kollegen wie Haydn, Paisiello, Righini und anderer geraten ins Blickfeld. Was uns diesen ungewöhnlichen Blick in die 1780er Jahre ermöglicht? Ein für diese "le week-end"-Reihe von uns selbst erstmals ins Deutsche übertragener Bericht eines Zeitgenossen.

1784 werden sie von Kaiser Joseph II. nach Wien an die Hofoper berufen - eine kleine Gruppe von zuvor in Venedig engagierten Opernstars, die Spezialisten für das italienische Fach sind. Erstaunlicherweise sind sie alle auf den Britischen Inseln geboren: die Sopranistin Nancy Storace, ihr Bruder, der Komponist Stephen Storace, und der Tenor Michael Kelly - oder auch Michael O’Kelly -, weil er in Dublin zur Welt kam, der dank seiner italienischen Sozialisierung auch Signor Ochelli genannt wurde.

Haydn, Dittersdorf, Mozart und Vanhal

Dieser Michael Kelly verfasste Jahrzehnte später Memoiren. Sie sind eine Fundgrube für das Wiener Kulturleben sowie für Tratsch und Klatsch aus den wilden 1780er Jahren. Gemeinsam mit Antonio Salieri flüchtet der Sänger Michael Kelly in den Prater-Auen vor einem herannahenden Wildschwein, mit Joseph Haydn genießt er in Fürst Esterházys Kutsche eine pannonische Überlandpartie, gegen Mozart verliert er in diesen Jahren jede einzelne Partie Billard.

Er ist 1784 bei jener Wiener Abendeinladung anwesend, die nicht nur "joyous and lively in the extreme", sondern auch Schauplatz eines legendären Streichquartett-Auftritts gewesen sein soll: Die Geigen werden gespielt von Joseph Haydn und Carl Ditters von Dittersdorf, die Bratsche spielt Wolfgang Amadeus Mozart und das Cello Johann Baptist Vanhal. Während all dieser Jahre stehen die Protagonisten der Kelly’schen Erinnerungen beinahe Abend für Abend auf der Bühne der Wiener Hofoper, um eine Uraufführung nach der anderen vor vollem Haus zu spielen: Mozarts "Figaro" ebenso wie Werke von Paisiello, Righini, Salieri, Gluck und anderen.

In der Zeit, von der ich rede, war der Hof von Wien vermutlich der brillanteste Platz von ganz Europa.

"Le week-end" wirft mithilfe von Michael Kellys "Reminiscences" die Zeitmaschine an und mäandert durch die wilden Wiener 1780er Jahre. Und die exzessiven Wiener Ballnächte, die nächtlichen Luxusschlittenfahrten, die besten Wiener Restaurants und Bars dieser Jahre und die ausschweifenden Sommer in Schloss Laxenburg haben wir noch gar nicht erwähnt.

"Der Kaiser, Joseph II., besuchte gemeinsam mit seinem Bruder, dem Erzbischof von Köln, unsere Premiere. In der Zeit, von der ich rede, war der Hof von Wien vermutlich der brillanteste Platz von ganz Europa. Das Publikum im Theater in der Hofburg erschien als ein Feuerwerk von Schönheit und Mode, alle Bevölkerungsschichten waren der neuen Musik ergeben und viele waren fachlich gebildet. In der Tat, dieses Wien war der Ort, wo das pure Vergnügen die Vorgabe war, für den Tag wie für die Nacht", erinnert sich Michael Kelly knapp 40 Jahre später.

Sobald die Faschingsperiode losging, gab es kein Halten mehr.

Seine "Reminiscences" sind zwar eine einzige Falle für die seriöse Musikwissenschaft, weil man selten genau wissen kann, wo die feine Grenze zwischen korrekter Erinnerung und gern erzählter, nostalgisch verklärter Geschichte liegt, aber "le week-end" wagt sich gern in dieses historische Wimmelbild. Manchmal erzählt vielleicht eine bunte, leidenschaftliche, dreiviertelwahre Geschichte mehr über eine Epoche als ausschließlich verifizierbare Fakten, finden wir.

"Als ich in Wien war", berichtet Kelly, "wurde ununterbrochen getanzt. Sobald die Faschingsperiode losging, gab es kein Halten mehr. In den verschiedensten Räumlichkeiten der Hofburg und vieler Paläste suchte man sich gegenseitig an Eleganz und Raffinement zu übertreffen. Alle wollten zu diesen Maskenbällen. Die 'ladies of Vienna' waren bekannt, wenn nicht berühmt für ihre Grazie und ihr Geschick im Walzertanzen. Niemals wurden sie müde. Von mir selbst kann ich berichten, dass ich oft um zehn Uhr am Abend auf eine 'masquerade' ging, um dann bis sieben Uhr Früh durchzutanzen, 'a continual whirligig'. Sehr vergnüglich, aber auch sehr anstrengend. Für die Augen, für die Ohren, um jetzt nichts über weitere Konsequenzen zu sagen."

"Serious operas of Chevalier Gluck"

Am stolzesten ist Michael Kelly auf all jene Wiener Momente, die mit seinem Beruf als Sänger, mit der Musik, mit seinem Kontakt zu den zeitgenössischen Komponisten zu tun haben: "Als eine Reihe ausländischer Fürsten und Prinzen nach Wien kam, gab Kaiser Joseph II. zu verstehen, er wünsche aus diesem Anlass Aufführungen von 'two grand serious operas of Chevalier Gluck'. Ich hatte dabei eine Rolle und damit auch das unglaubliche Privileg, vom alten, großen Gluck persönlich in die Rolle eingeführt zu werden. Eines Morgens, nachdem ich mit ihm gesungen hatte, sagte er:

'Folgen Sie mir die Stiegen hinauf, mein Herr, ich werde Sie dem vorstellen, den ich mein ganzes Leben studiert, wenn nicht imitiert habe.' Ich folgte ihm in sein Schlafzimmer und da, genau über seinem Bett, sah ich ein lebensgroßes Gemälde von Georg Friedrich Händel. 'Hier', sagte Gluck, 'sehen Sie das Porträt des inspiriertesten Meisters unserer Kunst. Wenn ich in der Früh aufwache, sehe ich mit Ehrfurcht zu ihm hinauf, und die größte Lobpreisung gilt Ihrem Land, Mister Kelly, dieses Genie so sehr ausgezeichnet und bejubelt zu haben.'" Selbstverständlich wusste Gluck, dass der Ort der umjubelten Uraufführung von Händels "Messiah" eben Dublin, die Geburtsstadt von Michael O’Kelly, gewesen war.

Gestaltung

  • Christian Scheib