Heimito von Doderer: „Die Dämonen“, Manuskriptbuch, o. D.

ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK

Ausstellung

Wien im Spiegel der Literatur

"Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur" - unter diesem Titel lädt das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in seiner neuen Sonderausstellung zu einer Wien-Erkundung mit Texten zeitgenössischer Autorinnen und Autoren.

Mittagsjournal | 11 04 2019

Kristina Pfoser

"je müder ich bin / umso lieber / bin ich in wien" - ein Haiku von Ernst Jandl empfängt den Ausstellungsbesucher. Gleich hinter dem halbtransparenten Vorhang, auf den der Text affichiert ist, ist von Schläfrigkeit aber gar keine Rede. Da tauchen wir ein in das Nachkriegswien der Spione und Schwerverbrecher, machen mit Friedrich Heer Station in der Gartenstadt oder schärfen mit Elfriede Gerstl und Bodo Hell den Blick für Wien-Momente.

"haiku in wien" von Ernst Jandl

ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK

"haiku in wien" von Ernst Jandl
1950er Jahre

Stadt erlesen

Katharina Manojlovic hat die Schau gemeinsam mit dem Direktor des Literaturarchivs Bernhard Fetz kuratiert und sie erklärt: "Die Ausstellung ist der Versuch, sich der Stadt im Text anzunähern, die Frage zu stellen, wie kann man sich eine Stadt erlesen und was kann man sich erschreiben. Das wollten wir aus verschiedenen Blickwinkeln ins Bild setzen."

Stadt und Peripherie

Thematisch, formal und topografisch ist der Bogen weit gespannt: von der Avantgarde über ironische Hommagen und sozialkritische Wien-Blicke führt die Schau - etwa mit Peter Henischs "Baronkarl" - auch an die Peripherie und von dort wieder zurück in die Stadt, wenn wir dem Handkeschen Erzähler aus der "Morawischen Nacht" folgen - auf seinem Weg vom Flughafen durch die Donauauen und Vorortsiedlungen in die Wiener Innenstadt.

Gehen

"Wir zeigen den ganzen Gang", sagt Bernhard Fetz, "zwölf oder 14 Blätter mit Bleistift geschrieben, auf der anderen Seite mit hartem Maschinschrift-Anschlag: ,Gehen‘ von Thomas Bernhard, einen der ästhetisch radikalsten Texte, der Erzähler geht mit einem gewissen Öhler über die Friedensbrücke in die Klosterneuburger Straße und überschreitet dabei auch eine soziale Grenze, es geht um Gehen und Denken. In der Ausstellung geht man in den Gang hinein mit Handke und zurück mit Bernhard."

Dreharbeiten zur Verfilmung von Graham Greenes Roman "Der dritte Mann" (Original: "The Third Man") am Neuen Markt in Wien, 1949

ERNST HAAS/ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK

Die Vergessenshauptstadt

Und landet gleich darauf in der "Vergessenshauptstadt", wie Robert Schindel Wien genannt hat. Hier begegnen wir jenen Autorinnen und Autoren, die durch das NS-Regime vertriebenen wurden: Hilde Spiel und Manes Sperber, Frederic Morton und Ruth Klüger. Neben einem kleinen Foto der sechsjährigen Ruth Klüger: ein Gedicht an ihren Vater, der Auschwitz nicht überlebte, "für mich besonders berührend sind die vielen Fassungen, an denen zu erkennen ist, dass sie jahrelang an diesem Text gearbeitet hat", sagt Bernhard Fetz.

Erst vor wenigen Monaten hat Ruth Klüger ihren Vorlass dem Literaturarchiv der Nationalbibliothek überlassen - die Ausstellung "Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur" gibt auch einen ersten Einblick in diesen wichtigen Neuzugang.

Service

Österreichische Nationalbibliothek - Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur, 12. April 2019 bis 16. Februar 2020

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