Elfriede Gerstl

APA/HANS KLAUS TECHT

10. Todestag

Punktgenau - Erinnerungen an Elfriede Gerstl

Mit drei Sendungen erinnert Ö1 an die vor zehn Jahren, am 9 April 2009, verstorbene Wiener Dichterin Elfriede Gerstl - "Tonspuren" (2.), "Radiokunst - Kunstradio" und "Du holde Kunst" (7. April).

In ihrem Gedicht "ich gebrauche also bin ich. 21 substitutionen" listet Elfriede Gerstl Gemeinplätze, Sprüche, berühmte Zitate auf und ersetzt das zentrale Substantiv darin jeweils durch das Wort Sprache. Der Verwender einer Floskel meint, das Gesagte zu kennen, sein Nichtdenken beim Sprechen bringt etwas in der Sprache zum Verschwinden. Gerstl substituiert es mit dem, was es ist, mit Sprache - sinngemäß und wortwörtlich.

Auseinanderdividiert

Der Platzhalter entwickelt dabei ein Eigenleben, das das Gesagte und Gemeinte gründlich auseinanderdividiert. Natürlich schwingt das "Servus" bei der Aufforderung "sag zum abschied leise sprache" mit, aber der Platzhalter macht klar, dass dieses "Servus" - selbst nur Platzhalter - durch alles Mögliche ersetzt werden kann, das, was immer es ist, angesichts des emotionalen Gehalts der Situation Geschwätz bleiben muss.

Ein typisches Gerstl-Spiel: An der Oberfläche Bekanntes verwandelt sich beinahe anstrengungslos in eine fundamentale Frage. Sprache wird immer als philosophisches Medium begriffen, das seine Grenzen erkundet; die Poetik ist in die Poesie eingebaut. Treibstoff dieser leichten Flugmaschinen ist skeptischer Witz. Wittgenstein trifft Nestroy.

Zwei Grundthemen

Die 18. "Substitution" des besagten Gedichts lautet "sprachen machen leute"; der Ersatz ist hier nicht nur mindestens genauso wahr wie das Original, er verbindet auch zwei Grundthemen in Gerstls Schaffen. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit war Gerstl kundige und leidenschaftliche Sammlerin von Mode, über die sie auch in ihren Essays hellsichtig reflektierte.

irgendeinem mangel trotzig die fülle entgegensetzen

Ihre kleine Wohnung füllte stets Kleidung aus den 1920er bis zu den 1970er Jahren, die sie kaufte, sammelte, verschenkte - unter anderem trug ihre Freundin Elfriede Jelinek, die ihr Interesse an dieser Kunst und spezifischen Form der Selbstinterpretation teilt, Stücke von ihr. In Elfriede Gerstls Gedicht "Kleiderflug" zeigt sich das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Schreiben und dem Sammeln: "der fundus wächst planvoll und chaotisch / weniges wird eliminiert - neues findet sich / es wächst wie ein text wächst / literatur und sammeln entspringt einem mangel / irgendeinem mangel trotzig die fülle entgegensetzen".

NS-Zeit in wechselnden Verstecken

Im selben Gedicht stellt Gerstl auch einen Bezug zu ihrer Biografie her. Als jüdisches Kind mit Geburtsjahr 1932 musste sie die NS-Zeit in wechselnden Wiener Verstecken überdauern, was ihr Wohnen und Schreiben zeitlebens prägte. Bis Ende der 1970er Jahre war ihre Wohnsituation prekär, sie "wohnte" in den Wiener Innenstadtcafés, wie dem Café Bräunerhof, Café Museum oder dem Hawelka.

Nicht nur dort wird ihre viel beschriebene und abgebildete Erscheinung - klein, zierlich, mit Herrenhut auf den roten Locken - in Erinnerung bleiben. Die Attribute ihrer Erscheinung fanden mitunter auch bei der Auseinandersetzung mit ihrer Literatur Anwendung. "Filigran" sei sie. Ist sie nicht! Nur genau. Punktgenau.

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