Eine Szene aus dem Stück: "die Demonen" von Dostojewski

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Tonspuren

Russische Dämonen

Warum der Kreml Dostojewski feiert.

Als der berühmte US-Diplomat Henry Kissinger in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CBS am 18. Dezember 2016 über die Einmischung russischer Geheimdienste in die amerikanische Präsidentschaftswahl auch nach seinen persönlichen Eindrücken von Wladimir Putin befragt wurde, verglich Kissinger den russischen Präsidenten mit einem Helden aus den Romanen eines berühmten russischen Schriftstellers: "Er ist ein Charakter wie aus einem Dostojewski-Roman."

Der Stimmungswandel

Im Kreml kam die fiktive Verbindung des russischen Präsidenten mit dem literarischen Großmeister gut an: "Kissinger kennt unser Land sehr gut, er kennt auch unsere Schriftsteller", ließ Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verlauten. Im Hinblick auf Dostojewksi war die russische Politik nicht immer so positiv gestimmt. Zu Sowjetzeiten hatte man ihn jahrzehntelang zensiert und totgeschwiegen. Nach dem Zerfall des Sowjetreichs wurde Fjodor Dostojewski dann zum meistpublizierten "vaterländischen Klassiker" überhaupt.

Im Jahr 2021 wird in Russland der 200. Geburtstag des Schriftstellers gefeiert, und schon jetzt hat der russische Präsident zur Vorbereitung der Geburtstagsfeier ein Festkomitee einberufen. Welches Interesse könnte der russische Präsident in seiner vierten Amtszeit haben, Dostojewski zu einem nationalen Säulenheiligen zu verklären? Was könnten sie gemeinsam haben, der Schriftsteller und der ehemalige KGB-Agent?

In letzter Sekunde begnadigt

Petersburg im März 1846: Nach dem Erscheinen seines Debütromans, "Arme Leute", wird Dostojewski zum Shootingstar der literarischen Szene. Bei den heimlichen Freitagszusammenkünften des linken Petraschewski-Kreises macht Dostojewski Bekanntschaft mit den Werken der französischen Frühsozialisten - und er sympathisiert mit den europäischen Revolutionären.

Als im Frühjahr 1848 in Paris die Barrikaden brennen, werden auch die russischen Umstürzler verhaftet, man verbringt Dostojewski in einer schwarz verhangenen Kutsche in die Peter-und-Paul-Festung von St. Petersburg. Am frühen Morgen des 22. Dezembers 1849 erwartet er auf einem schneebedeckten Paradeplatz den Tod. Doch in letzter Sekunde wird er von Zar Nikolaus begnadigt. In einer Art "Identifikation mit dem Aggressor" bekehrt sich Dostojewski zu Zarentum und Slawophilie. Er wird zum christlichen Schriftsteller, schwingt sich auf zu seinen epischen Werken wie "Der Idiot" und "Die Brüder Karamasow"; doch in seinen journalistischen Werken, die im Tagebuch eines Schriftstellers versammelt sind, klingt der große Romancier eher reaktionär.

Wie Dostojewski verstand sich Putin lang als proeuropäisch

Berlin 2001: Bei seiner Rede im deutschen Bundestag rühmt Putin auf Hochdeutsch die russisch-deutschen Beziehungen. Und noch 2006 eröffnet er, gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, ein Dostojewski-Denkmal. In Dresden, wo Dostojewski maßgeblich "Die Dämonen" schrieb - den antirevolutionären Lieblingsroman der Kremlelite. In Dresden, wo auch Putins Karriere als KGB-Agent begann.

Wie Dostojewski verstand sich Putin lang als proeuropäisch, wie der Großschriftsteller sah sich auch der Kreml-Herr später um seine europafreundlichen Träume gebracht: Die ehemaligen GUS-Staaten strebten in die Europäische Union, die NATO brachte Raketen an Russlands Westgrenzen in Stellung. Putin brach mit dem Westen, intervenierte 2008 in Georgien, besetzte 2014 die Krim. Kants "ewiger Frieden" scheint für ihn seither nur noch als "Pax Russica" denkbar. Wurde beim Präsidenten wie beim Schriftsteller aus Enthusiasmus später Ressentiment, weil Europa ihre Liebe verschmähte?

Machiavellismus

Der Schweizer Slawist Ulrich Schmid spricht vom "Machiavellismus" Dostojewskis, weil dieser es verstehe, seine Leser/innen in Bann zu schlagen. Aber Machiavellismus - ist das nicht eigentlich die Domäne des russischen Präsidenten? Es ist wie im Fall Skripal, als London Moskau bezichtigte, Drahtzieher eines versuchten Giftgasanschlags auf den russischen Exspion zu sein. Der damalige englische Außenminister, Boris Johnson, brachte Moskaus Ausreden mit den Verhörsituationen Raskolnikows aus Dostojewskis "Verbrechen und Strafe" in Verbindung: "Es ist wie der Anfang von Verbrechen und Strafe: Alle wissen, dass der Angeklagte schuldig ist. Die Frage ist nur: Wird er gestehen oder muss er überführt werden?!"

Worauf Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, sich mit einer Retourkutsche zu Wort meldete: "Sagt ihm, er soll den ganzen Roman lesen. Da heißt es nämlich: Hundert Verdächtigungen machen noch keine Wahrheit!"

Text: Manuel Gogos, Essayist, Featureautor und Ausstellungsmacher