DPA
Ex libris
Wolfsteig
Der Debütroman von David Bröderbauer.
17. Juli 2019, 02:00
Der Truppenübungsplatz Wolfssteig im Waldviertel wird aufgelassen. Jetzt beginnt das Ringen um die Zukunft des Grundstücks. In diesem tragikomischen Provinzdrama treffen moderne Themen des dörflichen Lebens auf wunderbar intensive und fachkundige Naturschilderungen.
Ex libris | 16 06 2019
Tabula Rasa
Der Truppenübungsplatz Allentsteig im Waldviertel ist vielen Grundwehrdienern in Österreich ein Begriff. Bekannt ist die Übungsstätte aber auch aufgrund zahlreicher Zwischenfälle. Dokumentiert sind unter anderem Hubschrauberabstürze, tödliche Scharfschießübungen und eine Granate, die versehentlich im anliegenden Wohngebiet detonierte. Zuletzt ertrank 2012 ein Panzerfahrer während einer Ausbildungsfahrt in einem übersehenen Schlammloch.
Aufgrund seiner isolierten Lage ist der Trainingsplatz aber auch ein einzigartiges Naturgebiet mit seltener Flora und Fauna, sogar Wölfe haben sich dort wieder angesiedelt. In Anlehnung an diesen Ort hat David Bröderbauer sein Debüt "Wolfssteig" genannt. Doch während am realen Sperrgebiet Geschosse durch die Luft fliegen, sind es im Roman diametral entgegengesetzte Lebensanschauungen, die aufeinander krachen.
"Dieser Platz ist die Tabula Rasa, die die Leute mit ihren Sehnsüchten und ihren Vorstellungen neu beschreiben wollen." David Bröderbauer
Ein Spannungsfeld
Der Truppenübungsplatz in Wolfssteig soll aufgelassen werden und sogleich beginnen die Streitereien: Kommt ein Asylheim, ein Naturschutzgebiet oder soll das Land den Nachfahren der 1939 enteigneten Bewohner zurückgegeben werden? Die Riesenbrachfläche gerät zum buchstäblichen Spannungsfeld, wobei die Spannungen kaum noch auflösbar sind.
Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht der zwei ganz unterschiedlichen Hauptcharaktere, die sich im Laufe der Handlung zaghaft anfreunden: Christian, ein ehemaliger Bundesheerangestellter arbeitet als Hausmeister im Asylheim. Er hat mit der Natur nicht viel am Hut, außer dass er gern mit dem Panzer drüber brettert. Ulrich ist ein mäßig erfolgreicher Wissenschaftler mit prekärem Arbeitsverhältnis. Ihm ist das Wohlergehen der Bevölkerung weit weniger wichtig, als das Wohlergehen der von ihm erforschten Birkhühner. Die Auseinandersetzungen werden im Buch auf mehreren Ebenen und an zahlreichen Fronten ausgetragen: Stadt gegen Land, Mensch gegen Natur, Akademiker gegen Nicht-Akademiker, Inländer gegen Ausländer, Religion gegen Esoterik gegen Wissenschaft.
Blüten der Provinz
Die Vielschichtigkeit der Konflikte wird auch anhand der komplexen Figuren deutlich. Da ist etwa der Pfarrer: Der Nigerianer ist mit einem Doktor in Moraltheologie als Dorfpfarrer eigentlich überqualifiziert und muss sich darüber hinaus mit dem latenten Rassismus seiner Schäfchen herumschlagen. Die Landbevölkerung kriegt in dieser tragikomischen Erzählung ordentlich ihr Fett weg - denn die meisten Kapitel werden aus der Perspektive des etwas überheblichen, in die Großstadt gezogenen Ulrichs geschildert: Er sieht in seinen ehemaligen Klassenkollegen und Dorfkameraden nicht mehr als minderbemittelte, rassistische Prolos.
"Wo bestimmte Feindbilder und bestimmte Sorgen stärker halten und auch stärker sichtbar werden."
David Bröderbauer, der hauptberuflich als Botaniker an der Universität Wien arbeitet, beschreibt die seltsamen Blüten der Provinz mit der Nüchternheit eines Wissenschaftlers. Im ruhigen, besonnen Tonfall erzählt er von den drängenden Problemen unserer Zeit und streut daneben philosophische Betrachtungen und Naturanschauungen ein.
Service
David Bröderbauer, "Wolfsteig", Milena Verlag