Ocean Vuong

TOM HINES

Auf Erden sind wir kurz grandios

Romandebüt von Ocean Vuong

Als der vietnamesisch-amerikanische Dichter Ocean Vuong vor zwei Jahren den renommierten T.S. Eliot-Preis gewann, wurde er von der angloamerikanischen Literaturkritik als neues Wunderkind gefeiert. Jetzt legt Ocean Vuong mit "Auf Erden sind wir kurz grandios" seinen ersten Roman vor.

Mittagsjournal | 19 07 2019

Wolfgang Popp

Erinnerung ist eine Flut, heißt es an einer Stelle im Buch, und diese Flut lässt Ocean Vuong in seinem Debütroman "Auf Erden sind wir kurz grandios" haltlos über die Ufer treten. Da erinnert sich die traumatisierte Mutter an den Vietnamkrieg, da flirrt der Sommer, wenn Vuong selbst an seine erste Liebe zurückdenkt, oder es flattern die Schmetterlinge, wenn er eine Parallele zwischen seinem eigenen Leben als Migrant und der Wanderung von Monarchfaltern zieht.

Ein vietnamesischer weißer Wal

Beim Bändigen dieser Themenfülle ist für Ocean Vuongs Roman überraschenderweise Hermann Melvilles Klassiker "Moby Dick" Pate gestanden: "Mich fasziniert, wie kompromisslos Melville seinen Interessen gefolgt ist, denn Moby Dick ist gleichzeitig Reisebericht, Thriller oder auch eine Meditation über Religion. Als ich mich nun fragte, welches Genre mir wohl am ehesten solche erzählerischen Umwege erlauben würde, stieß ich auf den Briefroman."

Sohn einer Analphabetin

Tatsächlich handelt es sich bei dem Buch um einen knapp 220 Seiten langen Brief an Ocean Vuongs Mutter. Die, muss man dazu sagen, Analphabetin ist. Vuong ist der erste in seiner Familie, der lesen und schreiben kann, trotzdem, sagt er, waren Geschichten in seiner Kindheit allgegenwärtig: "Diese Geschichten sind jahrhundertealt und meine Großmutter und Mutter haben sie durch zahllose Konflikte und über Tausenden Kilometer hinweg mit sich getragen. Durch die häufige Wiederholung waren sie aber, was Erzählfluss und Spannung betrifft, zu wahren Meisterwerken geworden, und weil wir zu Hause weder Radio noch Fernsehen hatten, bekam ich sie jede Nacht zu hören."

Repressalien für den schwulen Migranten

Diese Tradition des mündlichen Erzählens hört man Vuongs Roman an, denn da hat jeder Satz Rhythmus und Melodie. Die ist aber nicht immer süß, denn Vuongs Aufwachsen in den USA war alles andere als einfach. Nicht nur, weil er als schwuler Einwanderer in den USA doppelter Außenseiter war, sagt Vuong, sondern auch durch die damaligen politischen Ereignisse: "Der 11. September bedeutete das Ende meiner Kindheit. Am nächsten Tag wurden wir nicht mehr nach draußen gelassen, alle Spielplätze waren verwaist. Jugendliche begannen Drogen zu nehmen, denn wenn man seiner Freiheit beraubt und Angst zur nationalen Identität wird, braucht man etwas, das einem innere Erholung verspricht."

Viele seiner Freunde sterben an einer Überdosis, unter ihnen auch sein erster Partner Trevor.

Der Dichter als Romancier

Mit Krieg, Liebe und Verlust verhandelt Ocean Vuong in seinem Romandebüt genau die Themen, die auch seine Gedichte umkreisen. Wie schwer ist ihm der Umstieg zum Roman gefallen? "Die größte Herausforderung", sagt Vuong, "waren banale Sätze wie: ‚Er öffnete die Tür!‘ Als Dichter fiel es mir unglaublich schwer, so einen Satz stehen zu lassen."

Grandioser Balanceakt

"Auf Erden sind wir kurz grandios" - dass hier im Titel die Vergänglichkeit und die Feier des Lebens so unmittelbar aufeinanderprallen, gibt schon den riskanten Balanceakt vor, den sich Ocean Vuong vornimmt, zwischen prickelnder Lebenslust und Melancholie. Was das Buch so besonders macht - es zieht diesen Balanceakt auch grandios durch.

Service

Ocean Vuong, "Auf Erden sind wir kurz grandios", Roman, aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag, Hanser
Originaltitel: "On Earth We're Briefly Gorgeous"

Ocean Vuong

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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