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"Ablösung" von Tor Ulven
Ihn interessierte die genaue Beschreibung, die "Häutung" der Wirklichkeit à la Simon Beckett. 1995 ist der Osloer Schriftsteller Tor Ulven schwer depressiv aus dem Leben geschieden. "Ablösung", erstmals veröffentlicht 1993, ist sein drittes Buch.
22. Oktober 2019, 14:01
Ex libris | 13 10 2019
Theresa Präauer
Auf dem Titelblatt als Roman ausgewiesen, liest sich "Ablösung" wie eine Sammlung von Prosaminiaturen, jede nur etwa eine Seite lang, und man benötigt beim Lesen etwas Zeit, um sich auf diesen Rhythmus einzulassen. Eine Lesart, die sich anbietet, wäre: jeden Tag nur eine Seite zu lesen. Es sind dicht gearbeitete Textstellen, die wie Selbstgespräche klingen über innere Vorgänge und über äußere Erscheinungen, und schon der Anfang macht deutlich, dass es hier jemand sehr genau nimmt mit dem Beschreiben:
"Eine Unruh, ein kurzes nervöses Zucken im Licht (oder im Dunkeln) könnte man es nennen, ein Lüftchen regt die Zipfel der Gardinen und lässt den matten Glanz der Sommernacht herein, so flackert es bisweilen, ein schmaler Streif, der im Laufe von ein paar Sekunden aufklafft und verschwindet, ein vorläufiges Dunkel, dann neues Flackern und neues Dunkel (…)."
Hier wird gesetzt, variiert und wiederholt, manches wird in Klammern gesetzt und wieder zurückgenommen, manches wird nur als Möglichkeit angenommen und mit mindestens einer Alternative ausgestattet: Licht oder Dunkel. Als könnten wir, während wir den Text lesen, ständig die Vorhänge auf- und zuziehen, und schon wäre so etwas wie Gewissheit selbst ein Gegenstand, der je nach Lichteinfall sein Aussehen wechselte.
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Material der Sprache
Anziehung entwickelt diese Art des Schreibens, wenn man beim Lesen die Bilder mit baut, die der Ich-Erzähler vorgibt, wenn man seine Verrenkungen als Handlungsanweisungen zu nehmen versteht und in der trostlosen Schwermut und im ziellosen Aktionismus seiner Tätigkeiten und "Fantasien", wie er sie nennt, auch den diskreten Humor zu entdecken gewillt ist. In manchen aktuellen Rezensionen ist nachzulesen, dass dieses Buch keine Handlung habe. Das Gegenteil ist der Fall: "Ablösung" ist voll von Handlungen, vielen kleinen und größeren Handlungen, die vielleicht ins Leere oder ins Dunkel führen, die aber immer auch das Konkrete vor Augen haben. Sie führen ins Material der Sprache, die voll ist von Rhythmus und Klang, und die etwas zeigt, was keineswegs abstrakt ist, sondern höchst visuell und hochgradig genau.
Begnadeter Negativist
Über Tor Ulven wird berichtet, er habe mehrere Jahre seine Wohnung nicht verlassen. Dabei, davon zeigt sich sein Text überzeugt, liegt hinter dem Vorhang "die ganze Welt versteckt": "Im Prinzip", schreibt er, "brauchte man nur die Tür öffnen und gehen, um alles zu finden, absolut alles." Und dieser Konjunktiv, dieses "im Prinzip brauchte man nur", spricht von einer Möglichkeit, die dieser Literatur innewohnt.
Service
Tor Ulven, "Ablösung", Roman, aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel, Droschl Verlag