Illustration eines Fuches auf dem Buchcover

SUHRKAMP.DE

Ö1 Hörspiel

Ein Brief über die nachwirkende Vergangenheit

"Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe". Von Josef Winkler.

"Liebster Vater,
Du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir. Ich wusste Dir, wie gewöhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begründung dieser Furcht zu viele Einzelheiten gehören, als dass ich sie im Reden halbwegs zusammenhalten könnte." So beginnt Franz Kafkas "Brief an den Vater".

100 Jahre später schreibt der Kärntner Schriftsteller Josef Winkler einen Brief an seinen Vater, und es ist frappierend zu sehen, wie gleich manche Problemlagen in Vater-Sohn Verhältnissen geblieben sind.

Bei dem 1953er im kärntnerischen Kamering, einem kleinen Dorf zwischen Villach und Spital an Drau geborenen Autor kommt allerdings eine Frage hinzu: "Warum hast du geschwiegen, warum hast du es verschwiegen ... auf welchem Boden wir stehen?" fragt Josef Winkler in seinem Text seinen verstorbenen Vater. Denn erst spät, nach dem Tod des Vaters, hat Winkler erfahren, dass auf der Sautratten, dem Feld des Dorfes, auf dem das Getreide für das tägliche Brot der Familie angebaut wurde, 1945 der Leichnam Odilo Globocniks verscharrt worden war.

Odilo Globocnik hatte sich in den letzten Kriegstagen in Kärnten versteckt gehalten. Als er von englischen Soldaten entdeckt wurde, hat er mit Zyankali Selbstmord begangen. Globocnik war der Organisator und Leiter der sogenannten "Aktion Reinhardt", er war maßgeblich verantwortlich für die Ermordung von mehr als eineinhalb Millionen Menschen - in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka zwischen März 1942 und August 1943 - und Globocnik war bis zuletzt stolz darauf.

"Wir alle haben vom Brot, das aus dem Kadaver des Judenmassenmörders wuchs gegessen und haben dieses tägliche Brot weitergereicht in die nächste und übernächste Generation ...", schreibt Josef Winkler in seinem Brief an den Vater.

"Warum hast du geschwiegen, warum hast du es wohl verschwiegen, denn du musst es gewusst haben, wie all die anderen im Dorf ...".

Josef Winkler hat diesen Text 2017 in der Direktionszeit von Karin Bergmann für das Burgtheater geschrieben. Voriges Jahr erschien der Brief an den Vater bei suhrkamp. Für Ö1 hat die Hörspielregisseurin Alice Elstner Winklers "Brief an den Vater" inszeniert, mit Johannes Silberschneider in der Hauptrolle.

"Das ist wie in meiner Kindheit. Du kriegst das alles noch einmal erzählt, du bekommst das alles noch einmal um die Ohren gehaut, vom Winkler. Ich kenne das alles, jedes Requisit, jedes Gefühl, den Geruch, die aufgebahrten Toten", erzählt Johannes Silberschneider.

Winklers Text ist ein Text über eine Kindheit im Kärnten der 1950er Jahre und zeigt, wie sehr Geschichte auch nachfolgende Generationen prägen kann.

"Das sind die großen Dramenbegriffe des 20. Jahrhunderts. Inzest und Genozid, wir haben das übertragen bekommen. Das große Schweigen, alles was verschwiegen wurde, haben wir in den Rucksack bekommen. Unsere Proviantdose ist gefüllt mit diesem Erbmaterial, der Eltern, das nicht aufgearbeitet wurde", sagt Johannes Silberschneider.

"Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe". Von Josef Winkler. Mit Johannes Silberschneider und Oskar Kisela. Tongestaltung: Elmar Peinelt und Manuel Radinger. Musik: Christoph Theiler. Bearbeitung und Regie: Alice Elstner (ORF 2019)