Gerhard Rühm

APA/HERBERT NEUBAUER

"Alter - Eine starke Verfremdung"

Gerhard Rühm zum 90. Geburtstag

Ö1 feiert ihn schon seit dem vergangenen Samstag, von den "Nachtbildern" bis zu den "Tonspuren", heute feiert Gerhard Rühm seinen 90. Geburtstag, der große österreichische Autor, Komponist und bildende Künstler.

Morgenjournl | 12 02 2020

Kristina Pfoser

Begonnen hat er seine Laufbahn nach einem Klavier- und Kompositionsstudium als Gründungsmitglied der legendären Wiener Gruppe - mit Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener ist das mittlerweile ein Synonym für die österreichische Avantgarde der 50er Jahre. Heute umfasst sein Werkverzeichnis weit über 200 Titel: Bücher, Theaterstücke, Hörspiele, Filme, Schallplatten und Partituren.

Vater Mutter Kind

Als Vater der experimentellen Dichtung feierte ihn die Literaturkritik. Als "Mutter der Wiener Gruppe" titulierte ihn Ernst Jandl. Als Kind wusste Gerhard Rühm schon genau, was er wollte: "Mein Schulweg", erzählt er, "führte von der Johnstraße vorbei an der Rudolfsheimer Kirche und da bin ich ab und zu eingekehrt und habe gesagt: 'Lieber Gott, lass mich einen berühmten Dichter, Komponisten und Maler werden!'" - Gerhard Rühm wurde erhört.

"Mein Alter kommt mir vor wie eine starke Verfremdung" Gerhard Rühm

Seit nunmehr über 70 Jahren arbeitet er höchst erfolgreich mit Text, Musik und Bild. In Lautgedichten, experimentellen Kompositionen, Melodramen und visueller Poesie hat er die Genres zusammengeführt - mit Lust am Makabren und am barocken Memento Mori, mit Anklängen an den Surrealismus und an Dada.

Ein Klassiker der Avantgarde

"Früher waren die Leute nach diesen Auftritten sehr erschreckt, heute mitunter auch noch", sagt Gerhard Rühm. Heute ist er jedenfalls ein Klassiker der Avantgarde - bei Matthes und Seitz erscheint die Ausgabe seiner Gesammelten Werke - ein Projekt, das wohl noch lange nicht abgeschlossen werden kann - und das liegt am Autor selbst, der scheinbar unermüdlich, mit Schwung und Neugierde die Grenzbereiche der schönen Künste auslotet.

Kuchen und Prothesen

Eine Zeitreise durch die Jahrzehnte kann man jetzt auch mit einer Sammlung von bisher unveröffentlichten Kurzprosatexten unternehmen, die unter dem Titel "Kuchen und Prothesen" im Ritter Verlag erschienen sind - Texte deren Entstehungsdaten von 1949 bis in die unmittelbare Gegenwart reichen.

"Mein Alter kommt mir manchmal wie ein Alptraum vor oder wie eine starke Verfremdung", meint Gerhard Rühm, "ich kann das gar nicht fassen. Ich fühle mich Gottseidank absolut o.k., vor allem geistig, und ich hab noch eine ganze Menge vor." - Gerhard Rühm erzählt von einem größeren Projekt.

Die Geburt eines Menschen

"Das heißt 'Die Geburt eines Menschen', wo der Entbindungsvorgang gesprochen wird, ganz neutral und gleichzeitig die Geburt der Sprache stattfindet. Damit habe ich mich sehr intensiv beschäftigt, mit der Entwicklung der Sprache bei Kleinstkindern. Das Ganze ist geplant für einen Sprecher und eine Sprecherin und soll allmählich in ein Chorwerk übergehen." - Aber damit nicht genug. Demnächst sollen auch zwei weitere Bände der Werkausgabe erscheinen - die Bilddichtungen von Gerhard Rühm.

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