John Storgårds

MARCO BORGGREVE

Neugier auf Beethoven

John Storgards und das RSO Wien

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien (RSO Wien) spielt unter der Leitung des finnischen Dirigenten John Storgards Werke von Beethoven, Honegger, Ravel sowie eine Uraufführung von Gerhard E. Winkler.

Böse Zungen behaupten, wenn Ludwig van Beethoven im Mai Geburtstag gehabt hätte, wäre das Beethoven-Jahr nach fünf Monaten schon wieder vorbei. Aber getauft am 17. Dezember und also vermutlich am 16. Dezember vor 250 Jahren geboren? Das schreit nach einer einjährigen Retrospektive zum Schaffen jenes Mannes, der wie kein zweiter die Musikgeschichte inspiriert hat und noch immer inspiriert. Das Zauberwort für eine gelungene Würdigung lautet: Neugier. Dafür stehen zwei Werke im RSO-Konzert, das John Storgards am 6. März im Wiener Konzerthaus dirigiert.

"Neugierig sein", so Storgards im Interview mit Geoffrey Newman, "verschafft einem bei jedem musikalischen Vorhaben die richtige Energie. Wenn man sich diese Neugier auch für die großen Standardstücke bewahrt, für Beethovens 'Fünfte' etwa, kann man mit frischem Blick auf die Partitur sehen und sich fragen: 'Was ist denn das hier eigentlich?'"

Beethovens "Kontretänze"

Im April 2018 dirigierte Storgards Antonin Dvoraks "Symphonie Aus der Neuen Welt", die auch die abgebrühtesten Klassik-Hörer/innen von den Sitzen riss. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wünschte sich eine baldige Wiederbegegnung mit dem finnischen Dirigenten. Aber eben nicht die "Fünfte" steht auf dem Programm, sondern eines von Beethovens Nebenwerken, die "Kontretänze", die uns in eine Ballsaison im 18. Jahrhundert entführen. Gegenüber den Symphonien fristen seine Kontretänze ein Schattendasein, aber Beethoven mochte sie sehr und zitierte einen von ihnen sogar im Finale der "Eroica".

Wie sehr Beethoven selbst Komponist/innen von heute inspiriert, bezeugt der Salzburger Komponist Gerhard E. Winkler: "Seine Musik war mir erste Anregung, ‚so etwas‘ auch zu machen. In meinem innersten Herzen blieb mir Beethovens Musik immer fast freundschaftlich nahe, in der Berührung stärkend: die Energetik seiner Musik, dieser spezielle Atem und das Wunder, dass sich umfassendes, konzeptuelles Strukturdenken immer auch in direkt emotional nachvollziehbare Wirkung umsetzen kann."

"B-Beben" von Gerhard E. Winkler

Zum 250. Geburtstag schenkt Winkler dem bewunderten Beethoven im Auftrag von RSO Wien und Wiener Konzerthaus eine neue Komposition: Im Mittelpunkt von "B-Beben" stehen für Winkler "die Scherzo-Elemente, die sein ganzes Schaffen durchziehen und zu seinen radikalsten Erfindungen gehören. Bebende Repetitionen, plötzlicher Stillstand, verblüffende Umschwünge - diese Elemente werden in meinem Stück teils direkt übernommen, teils mit anderen Stilebenen verbunden, etwa einem Hauch von Cha-Cha-Cha und einer Art Balkan-Hip-Hop".

Ravels Klavierkonzert mit Alice Sara Ott

Der Flirt mit der Musik außerhalb des klassischen Kanons hätte auch Maurice Ravel gefallen, der sich nie zu schade war, Anleihen beim Jazz zu machen - schon gar nicht im Falle seines Klavierkonzerts, das die Deutschjapanerin Alice Sara Ott interpretiert. Einen Kontrapunkt zum "Kontretanz" setzt Storgards erst am Schluss mit der Dritten Symphonie des Schweizer Komponisten Arthur Honegger, genannt "Liturgique", entstanden unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

"Meine Symphonie", bekannte er, "ist ein Drama, in dem sich drei Charaktere begegnen: Unglück, Freude und Menschlichkeit. Ein ewiges Problem. Ich habe versucht, mich diesem neu zu stellen." Honeggers Lösung erbittet Beistand von oben: Der letzte Satz ist überschrieben mit "Dona nobis pacem" - "Gib uns unseren Frieden". Der Bogen zu Beethovens "Missa solemnis" ist geschlagen.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien