UNIONSVERLAG
Mai
Desmond Morris, "Das Leben der Surrealisten"
Desmond Morris' "Das Leben der Surrealisten" ist das Ö1 Buch des Monats Mai - geistreich und witzig formulierte Kurzgeschichten.
1. März 2021, 16:38
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Ex libris | 26 04 2020
Anfang der 1920er Jahre formte der Schriftsteller André Breton aus einer diffusen Stimmungslage, die mit avantgardistischem Konventionsbruch und Psychoanalyse zu tun hatte, eine Bewegung, als deren Anführer er sich verstand: den Surrealismus. Es ging ihm um die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten, um Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung. Das Bewusstsein und die Wirklichkeit sollten global erweitert und alle geltenden Werte umgestürzt werden. Logisch-rationale, als bürgerlich abgewertete Kunstauffassungen wurden radikal und provokativ abgelehnt. Große Worte, dafür war Breton bekannt, aber was sollte das in der Praxis bedeuten?
Maler, Verhaltensforscher und Autor
Richtig zur Geltung kam der Surrealismus in der bildenden Kunst, und einer, der sich damit seit den 1940er Jahren beschäftigt, ist der englische Verhaltensforscher Desmond Morris. Der ist eigentlich bekannt für seine populärwissenschaftlichen, in Millionenauflagen erschienenen Bücher und für Fernsehsendungen im Stil eines David Attenborough. Was wenige wissen ist, dass er nach 1945, ehe er Biologe wurde, als Maler reüssierte, gemeinsam mit Joan Miro ausstellte und den für einen späteren Verhaltensforscher hochinteressanten Francis Bacon zu seinen Freunden zählte.
Ein surrealistisches Kunstwerk müsse geheimnisvoll sein, der Betrachter und idealerweise auch der Künstler müsse irritiert sein, dürfe es nicht verstehen, sagt Desmond Morris. Der Maler müsse den Verstand ausschalten und dürfe sich selbst keiner Analyse unterziehen.
Wie finden Leben und Bild zusammen?
Dennoch besteht der Reiz beim Betrachten surrealistischer Kunstwerke im Versuch, die Ratlosigkeit aufzulösen und hinter das Geheimnis zu schauen - um am Ende doch zu kapitulieren. Es ist, was es ist, ein bildgewordener Bewusstseinszustand. In seinem Buch "Das Leben Der Surrealisten" wird Desmond Morris dem surrealistischen Prinzip hingegen untreu und er geht in 32 Lebensbildern der Frage nach, wie Leben und Werk zusammenfinden.
Dass dieses Buch nicht einfach eine von unzähligen Monografien der Bewegung geworden ist, mit der wir heute eher den Kitsch des späten Salvador Dali oder die Massenproduktion eines Rene Magritte verbinden, hat mit Morris‘ Art, Dinge zu erklären, zu tun. Genau genommen erklärt er gar nichts, sondern erzählt unakademisch von künstlerischen Lebensläufen zwischen materieller Not, Visionen, Exzentrik, Freund- und Feindschaften, stilistischen Eigenheiten und Marktkonformität.
Heiter, frech und informativ
Das Schöne an Desmond Morris‘ Erzählkunst ist, dass er keine Heldengeschichten erzählt und solche, die es zu Weltruhm und Reichtum gebracht haben wie Salvador Dali, Joan Miro, Francis Bacon oder Rene Magritte, nicht über jene stellt, die vergleichsweise unbekannt geblieben sind Wilhelm Freddie, Conroy Maddox oder E.L.T. Mesens. Oder auch jene, die ihren Platz in der Kunstgeschichte haben, ohne heute auf Kalendern und Wohnzimmerposter allgegenwärtig zu sein, Man Ray etwa, Max Ernst oder Hans Bellmer.
Desmond Morris hat ein sehr heiteres, mitunter freches, nie langweiliges und dennoch äußerst informatives Buch über eine Kunstrichtung und ihre Protagonisten geschrieben, die wir für abgenagt und ausgelutsch gehalten haben. Das ist große Kunst!
Service
Desmond Morris, "Das Leben der Surrealisten", aus dem Englischen von Willi Wimkler, Unionsverlag, 349 Seiten
Gestaltung
- Peter Zimmermann