Logenreihe, Wiener Staatsoper

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Kultur im Internet

Online-Kulturangebote: Wie erfolgreich?

Seit der coronabedingten Schließung aller Kunst- und Kulturinstitutionen haben Theater und Museen, Musikschaffende und Schriftsteller ihre geballte kreative Energie in den virtuellen Raum verlagert. Und das Publikum folgt - manchmal spärlich, manchmal in Scharen.

Zu den erstaunlichsten Online-Kultur-Phänomenen zählt mit Sicherheit Martin Grubers aktionstheater ensemble. "Streamen gegen die Einsamkeit" heißt sein Online-Angebot mit gratis Mitschnitten vergangener Produktionen. Und die gegenwartskritischen Stücke wie "Heile Mich" oder "4 Stücke gegen die Einsamkeit" verzeichnen seit Mitte März mehr als 61.000 Zugriffe.

"Ich dachte: Gibt's das überhaupt? Wie kann man sich das vorstellen, dass man plötzlich fünf Mal die Wiener Stadthalle füllt?", erzählt Martin Gruber, der mit seiner Kompanie üblicherweise vor rund 200 Menschen spielt. "Erklären kann ich's Ihnen nicht", sagt er. Nur so viel: "Relevante Themen wie Einsamkeit brennen jetzt, in der aktuellen Situation, noch mehr unter den Nägeln. Das ist dem einen oder der anderen offenbar ziemlich eingefahren."

Gratisangebot als Grundsatzentscheidung

Große Zuströme verzeichnet auch das Wiener Konzerthaus, das auf seiner eigens ins Leben gerufenen Seite dreimal wöchentlich "Moments Musicaux" aus dem leeren großen Saal sendet - Kurzkonzerte von Julian Rachlin, den Strottern, Michael Schade oder Ankatie Koi. Mehr als 80.000 Besucher waren schon in diesem virtuellen Konzertsaal.

Etwa 1.500 Menschen besuchen die täglichen Live-Lesungen auf der Facebookseite des Salzburger Literaturhauses. Insgesamt wurden mehr als 150.000 Menschen erreicht, freut sich der Leiter Tomas Friedmann.

Der ungeahnte Zustrom könnte, selbst bei nur einem oder zwei Euro pro Klick, eine beträchtliche Summe in die krisengeschüttelten Kassen spielen. Doch alle drei winken ab: Zu aufwendig, zu komplex und kompliziert sei es, in Zeiten der Kurzarbeit noch eine Bezahlhürde einzubauen, "wenn es doch jetzt gerade darum geht, Hürden abzubauen", so Tomas Friedmann. Und Martin Gruber räumt ein: "Wahrscheinlich wären die Zugriffszahlen dann auch nicht so hoch."

Im Bewusstsein bleiben

Vielmehr gehe es ohnehin darum, die Verbindung zum Publikum über die geschlossenen Pforten der Spielstätten hinweg aufrecht zu halten. Auch die Wiener Staatsoper hat derzeit die Paywall seiner Streaming-Plattform ausgesetzt. "Weil es das einzige ist, was wir unserem Publikum derzeit geben können", so der Verantwortliche Christopher Widauer. Die Zugriffszahlen stiegen prompt um ein Vielfaches. Statt bisher 1.000 bis 3.000 Streams pro Abend verzeichnet man bis zu 15.000 Zugriffe pro Vorstellung.

Matthias Naske vom Konzerthaus und Tomas Friedmann vom Salzburger Literaturhaus investieren derzeit bewusst Marketing-Budget in die honorierten Online-Auftritte der Schriftsteller bzw. Musiker. Und der Aufwand lohnt sich: Die ohnehin schon großen Fankreise beider Institutionen sind noch stärker gewachsen. Auf gar 200.000 registrierte Streaming-Nutzer blickt derzeit die Wiener Staatsoper, so viele wie noch nie.

Ungleicher Kampf um Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

Ein Streifzug durch die Kulturlandschaft im Internet zeigt allerdings: Große Häuser mit gewachsenen Strukturen und Netzwerken sind klar im Vorteil. Wer auf Archivmaterial oder technisches Equipment zurückgreifen kann, findet ungleich größeren Anklang beim Publikum als manche eilig ins Leben gerufene Formate und Plattformen. Wer nicht schon zuvor über ein solides Netzwerk an Gästen und Interessenten verfügte, tut sich derzeit noch schwerer, Aufmerksamkeit in Form von Klicks zu generieren.

Diese leidvolle Erfahrung macht derzeit etwa Pierre Emanuel Finzi mit seinem Verleih Filmgarten. Rund zwei Dutzend handverlesener, preisgekrönter Filme hat er mit Beginn der Corona-Krise auf die eigens dafür nachgerüstete Webseite gestellt. Für drei Euro kann man einen Film 48 Stunden lang entlehnen. Die Nachfrage allerdings sei bescheiden, der Umsatz bewege sich im dreistelligen Bereich, so der Verleiher. Aber auch er werde das Service weiterhin anbieten: "Es geht nur darum, die Cinephilie wach zu halten und selbst sichtbar zu bleiben", meint er.

Gegen omnipräsente Anbieter wie Netflix oder Disney zu bestehen, sei nahezu unmöglich. Doch selbst bei Netflix habe es eine Weile gebraucht, bis der Streaming-Dienst derart bekannt wurde. "Im Video-on-Demand-Bereich wird es wohl ebenfalls eine Weile dauern und vielleicht noch eine kleine Steigerung geben, aber ein echtes Geschäft wird es wohl nie für mich, Filme nur online anzubieten", so Finzi.

Ausharren auf Rückkehr in den realen Raum

Eine echte Alternative stellt das Streamen aber für keinen der Befragten dar. Matthias Naske sieht die "Moments Musicaux" ausschließlich als Überbrückungsmaßnahme, und auch das Salzburger Literaturhaus wird die täglichen Lesungen zwar tapfer senden "bis die Krise vorbei ist". Aber dann werde man ehestmöglich zum gewohnten Betrieb zurückkehren - mit direktem Austausch statt Likes und Kommentare, mit persönlichen Begegnungen statt unerwiderten Blicken in die Webcam. Bis dahin jedenfalls wird so zahlreich gestreamt, geliket, kommentiert und geteilt wie nie zuvor.

Service

Filmgarten - Filmverleih mit Video-on-Demand-Service
Moments Musicaux auf der Seite des Wiener Konzerthauses
Streaming Plattform der Wiener Staatsoper
Live Lesen! - Das literarische Anti-Corona-Programm des Literaturhauses Salzburg
aktionstheater ensemble mit ausgewählten online-Vorstellungen aus dem Archiv

Gestaltung