Ausstellungsansicht

GALERIE CHARIM/MARKUS KROTTENDORFER

Kunst

Kunstmarkt im radikalen Wandel

Die österreichischen Galerien dürfen seit Mitte April wieder für den Publikumsbesuch geöffnet sein - unter den gleichen Auflagen wie Geschäfte. Mundschutz und Desinfektionsmittel stehen bereit, es gibt entweder Ausstellungen in der Verlängerung oder ganz neue Ausstellungen zu sehen, die ohne Vernissagen eröffnet worden sind - und die Galeristinnen und Galeristen freuen sich über jeden Besucher.

Viele sind es derzeit allerdings nicht; vor allem Menschen, die sich beruflich mit Kunst befassen, etwa Journalisten oder Kuratorinnen, kommen - Laufpublikum gibt es sonst sehr wenig. Viele Galerien mussten ihr Jahresprogramm ändern - sei es, weil Transporte nicht zustande kommen, oder weil Künstler nicht reisen können bzw. sich nicht dem Aufbau der Ausstellung, sondern der Betreuung der Kinder widmen müssen.

"Fuck off and die alone"

Die aktuelle Ausstellung hat Hans Knoll letzte Woche installiert, und es sei eine Wohltat, wieder mit Kunstinteressierten zusammenkommen zu können, erzählt er. In der Knoll Galerie auf der Wiener Gumpendorferstraße ist bis Ende Juni eine Ausstellung von Alexander Brener und Barbara Schurz zu sehen - ein österreichisch-russisches Künstlerduo, das in der Kunstwelt für seine provokanten Auftritte bei Vernissagen bekannt und berüchtigt ist. Sie stören die eingespielte Ruhe, sind aggressiv und verweigern Diskussionen über ihr Handeln, und sie sind radikal kritisch gegenüber der Kunst-Gemeinschaft.

Hans Knoll stellt die einzelnen Originalseiten der Publikation "Fuck off and die alone" aus - detailreiche Tuschezeichnungen mit schwulstigen, teils pornographischen Motiven. Sehr dicht und meisterhaft gezeichnet, grotesk und verstörend sind diese schwarzweißen Grafiken, die in der Tradition der russischen Lubki stehen. Das sind volkstümliche Drucke mit reduziertem Text und einfachen, kolorierten Zeichnungen. Hans Knoll: "Dieser unterentwickelte analphabetische Stil der Information, sowas interessiert sie. Oder die Ästhetik und Techniken der Zeichnungen und Malereien von indigenen Völker in Mittelamerika."

Flexibilität ist gefragt

So manche Galerie macht bei Messen gut die Hälfte ihres Jahresumsatzes - jetzt sind alle abgesagt oder in den Herbst verschoben. Wenn die Umsätze ausbleiben und die Miete für innerstädtische Ausstellungsräume nicht mehr erwirtschaftet werden kann, müssen in Zukunft andere Modelle gefunden werden, meint der Galerist Hans Knoll. Etwa dass Kunst in temporär genutzten, sonst leerstehenden Geschäftslokalen gezeigt wird. Denn eine Besonderheit haben die österreichischen Galerien: "Wir können eigentlich sehr flexibel sein. Wir sind keine großen Tanker, haben nicht viele Mitarbeiter. Wir müssen das nützen und ausbauen, diese Flexibilität."

Neue Vertriebswege gesucht

Auch die Galeristin Miryam Charim war in der Zeit ohne persönliche Kunden- und Besucherinnenkontakte nicht untätig: Mit ihrem Team hat sie aufwändige von Künstlerinnen und Kuratoren gestaltete Newsletter verschickt, um in Kontakt mit dem Publikum zu bleiben. Außerdem hat sie sich mit Vertriebswegen im Internet befasst und um eine Subvention angesucht, um den online-Verkauf auf die Beine zu stellen. Die Künstler seien bereits dabei, Editionen zu erarbeiten, die online verkauft werden können. Auf Instagram hat eine Sammlerin Bilder einer von der Charim Galerie vertretenen Künstlerin entdeckt - vor ein paar Tagen sei sie in die Galerie gekommen, um die Originale zu begutachten.

Im digitalen Vertrieb von Kunst ändert sich gerade viel - die Aura des Originals scheint blässer zu werden. "Das wäre für viele kompetente Sammler undenkbar gewesen, zu kaufen, ohne das Original gesehen zu haben. Jetzt passiert es, dass eine Entscheidung schnell online gemacht wird, und das wird sicher in Zukunft mehr gemacht werden", meint Hans Knoll, jahrelanger Präsident Galerienverbands. Der Verband österreichischer Galerien moderner Kunst wird übrigens gerade neu aufgestellt, dieser Tage finden die Vorstandswahlen statt. Und zahlreiche Mitglieder, die in den letzten Jahren ausgetreten waren, kommen nun zurück. Nicht zuletzt in der Krise ist man draufgekommen, dass eine laute Stimme besser gehört wird als viele einzelne.

"Eigentlich hat es niemand gesehen", sagt Miryam Charim über die Ausstellung der in Belgrad geborenen Künstlerin Milica Tomic. Im Hauptraum der Charim Galerie in der Dorotheergasse hat Tomic nachgestellt, was sie im jugoslawischen Staatsmuseum für moderne Kunst vorgefunden hat, als dieses mit dem Zerfall Jugoslawiens geschlossen wurde: ein kreisförmig schwarzweiß gestreifter Bodenbelag, darüber zerknüllte Plastikfolie, Sessel, gepackte Kartons.

Für die Lektüre einer anderen Arbeit sollte man sich ein wenig Zeit nehmen - es handelt sich um Recherchematerial und Fundstücke eines Projekts, das sie für den steirischen herbst erarbeitet hat. Es geht um die bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen der NS-Politik auf landwirtschaftlichen Besitz und ein NS-Arbeitslager im steirischen Aflenz.

Skulpturen mit Weißstich

Mehrere Wiener Galerien bereiten den Reopening Gallery Walk Vienna vor - am 5. und 6. Juni hat man zeitgleich offen und will so das Publikum in die Galerien holen. Raus aus dem virtuellen Raum, rein in die Ausstellungsräume! Bildende Kunst ist oft auf die räumliche Umgebung abgestimmt und sackt in digitalen Darstellungen ab. Das trifft auch auf die aktuelle Ausstellung des australischen Künstlers Jonny Niesche in der Zeller van Almsick Galerie zu. "Bei diesen Arbeiten ist es eklatant, die haben eine geradezu körperliche Auswirkung. Man kann fast nicht dauerhaft hinschauen", sagt Cornelis van Almsick und zeigt auf zwei abstrakte, chromatische Bilder, die mit der weißen Wand zu verschmelzen scheinen. Für die Ausstellung "Cosmic Cosmetics Vol II" wurden Parkettboden und Sockelleisten mit einem weißen Bodenbelag verdeckt, sodass man sich in fast makellosen, sterilen weißen Boxen wähnt, von denen sich die sanft changierenden Farbpaletten der Bilder und Skulpturen geisterhaft abheben.

Nachhaltigkeit, auch im Kunstbetrieb

Die Einzelausstellung von Jonny Niesche sei - auch wegen der Transporte aus Sydney - bei weitem die aufwändigste Ausstellung, die sich die Zeller van Almsick Galerie je geleistet hätte. Die Eröffnung fiel in die Zeit der Ausgangsbeschränkungen. Umso wichtiger ist es Cornelis van Almsick, dass sie nun doch noch von ein paar Leuten gesehen werden kann. "Ich denke das ist jetzt die perfekte Zeit, um mit einfachen und intelligenten Mitteln großes zu erreichen", meint Cornelis van Almsick. Die veranstaltungsfreie Zeit hat er damit verbracht Inhalte zu recherchieren, Strategien zu hinterfragen und neue zu entwickeln. Er sieht angesichts der erzwungenen Entschleunigung des ohnedies überdrehten Kunstsystems Überlebenschancen für kleinere Galerien, die auf künstlerische Qualität und nachhaltige Strukturen setzen.

Gestaltung

  • Anna Soucek

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