Trommler der japanischen Gruppe Yamato

AFP/FRANCOIS GUILLOT

Japan. 1945 bis heute

Die Vielfalt des japanischen Musiklebens

„A nation of Mozart lovers“, diese Bezeichnung liebt das japanische Publikum und meint mit Mozart klassische symphonische Musik. Mozart steht für Wien, für die Wiener Philharmoniker, für den „Goldenen Saal“ der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und für das Neujahrskonzert. Mozart steht auch für Johann Strauß und Schubert und Beethoven und für eine europäisch geprägte bürgerliche Musikkultur.

Wer aus Japan kommend sich zum Mozart-Liebhaber erklärt, der will Mozart am liebsten in Wien mit einem österreichischen, nein besser, einem Wiener Orchester erleben. Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich nannte sich konsequenterweise bei seiner Tournee in den 1980er Jahren Wiener Tonkünstler-Orchester.

Mozart ist ein Aufstieg, ist das Indiz, dass die Aufholjagd gelungen und man mit dem Westen gleichgezogen hat. Dazu gehört der Stolz, dass es ein japanischer Musiker geschafft hat, in einem Wiener Orchester Solocellist zu sein, in einem Berliner Orchester gar Konzertmeister, dass es ein japanischer Dirigent bis zum Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper bringt.

Klassik gleichgesetzt mit hoher Zivilisationsstufe

Der Wettlauf des Vergleichs betrifft auch den Bau von Opernhäusern in Tokio oder die Übernahme einer traditionsreichen Klavierbaufirma in Wien durch ein japanisches Unternehmen oder die Weltkarriere einer japanischen Pianistin oder Geigerin.

Die Meisterschaft in klassischer symphonischer Musik ist gleichgesetzt mit einer hohen Zivilisationsstufe, eine Verbindung, die die Werbewirtschaft erkannt hat und zu nutzen weiß. Reisewelten und Hotelsuiten tragen etwa den Namen Amadeus.

Mozart kam sehr früh nach Japan, oder das, was man für Mozart hielt. Die gleich nach der Öffnung des Landes, noch Ende des 19. Jahrhunderts, neu erstellten Schulliederbücher nahmen das Bundeslied des Johann Holzer in den Kanon auf, noch unter der Annahme, es sei von Mozart. Das Lied war Teil eines Schullieder-Projekts des japanischen Erziehungsministeriums, Lieder aus Europa für eine neue Generation von Japanern und Japanerinnen zusammenzutragen, Hymnen für den Tagesanfang und das neue gemeinsame Leben, Hymnen, die die Einigkeit der Nation fördern.

Japans Musikleben ist weltweit einzigartig

Wie Mozart nach Japan kam? Und warum überhaupt? Japans Musikleben ist weltweit einzigartig in seinem Reichtum an Genres, Instrumenten und Künsten, die von heterofonem Gesang zur Langhalslaute Shamisen bis zur Hofmusik Gagaku reichen, von Epen, auf der Biwa begleitet, bis zu den komischen Monologen des Rakugo. Dieser Reichtum wurde auch deshalb erhalten, weil die Musiken in streng abgeschlossenen Gruppen weitergegeben wurden, deren Mitglieder bis heute verwandtschaftlich und in einer streng hierarchischen Meister-Schüler-Loyalität verbunden sind.

Die Abgegrenztheit bedeutet den Ausschluss aller anderen, was die Erlaubnis zum Unterricht, aber auch zur Teilnahme an Vorführungen betrifft. Dies reicht weit über das Instrument hinaus, einzelne Schulen für dasselbe Instrument bedienen sich jeweils ihrer eigenen Schreibweise.

Diese Exklusivität sichert den Fortbestand über Jahrhunderte hinweg abseits der universitären und schulischen Einrichtungen. Oft wurde die Verborgenheit mit mangelnder Wertschätzung gleichgesetzt, es bedurfte der Ermunterung von außen, die traditionellen Musiken in das Schulsystem und in das japanische Komponieren einzubeziehen.

Musikrichtung definierte die Position in der Gesellschaft

Die Zugehörigkeit zu einer Musikrichtung definierte die Position in der Gesellschaft und war damit eine Grundlage der Kommunikation. Die einzelnen Gruppierungen standen wiederum in einer Hierarchie in der Gesellschaft. All diese Genres heißen nicht Musik; Musik, diesen Namen bekam „Mozart“, die neu eingeführte symphonische Musik, die die Bevölkerung des neuen Meiji-Kaiserreiches einen sollte, jenseits der traditionellen Musikgenres, über ihnen stehend und die Aufholjagd auf die westliche Welt krönend mit der Eroberung ebendieser symphonischen Musik.

Es dauerte lang, bis die japanische Musikwelt die politische Verordnetheit der symphonischen Musik überwand, bis Japans Musikschaffende sich anregen ließen von der kompositorischen Avantgarde Deutschlands oder Frankreichs, neue Tonsysteme und ihre traditionellen Musiken zu entdecken.

Beides existiert gleichzeitig: der Wunsch, Mozart und die symphonische Musik möglichst in Wien zu hören und ein japanisches Musikschaffen mit Profil und Originalität zu kreieren. Ö1 wird in der Vielfalt seiner Musiksendungen die Vielfalt des japanischen Musiklebens, in Interpretation und Komposition, hören lassen.

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