Eine Blüte einer Riesenseerose.

BOTANISCHER GARTEN GRAZ

Das Objekt der Begierde

Botanischer Garten Graz

Der Botanische Garten in Graz befindet sich mitten in einer beschaulichen Wohngegend mit schattenspendenden Bäumen und herrschaftlichen Villen. Der ursprüngliche Botanische Garten, der 1811 von Erzherzog Johann in der Grazer Innenstadt gegründet worden war, stand der Stadtentwicklung im Weg und musste übersiedeln.

So wurde der Botanische Garten Teil der Karl Franzens Universität und wurde in, der damals noch außerhalb gelegenen, Schubertstraße angesiedelt. Schon damals stand ein Objekt, bzw. eine Pflanze im Mittelpunkt: die Victoria Cruziana, auch als Santa Cruz Riesenseerose bekannt.

Der Umgang mit den Schätzen anderer Länder war damals ein anderer – selbst mit Pflanzen und deren Samen, erzählt Christian Berg, wissenschaftlicher Gartenleiter des Botanischen Gartens in Graz. Europa war das Zentrum; der Rest der Welt war irgendwie ein Teil von Europa. So wurden exotische Gewächse aus aller Herren Länder eingeführt, um Forschung mit ihnen zu betreiben.

Außenansicht mit winterharten Sukkulenten

Außenansicht mit winterharten Sukkulenten

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Für den Botanischen Garten in der Schubertstraße war sogar ein eigenes Victoriahaus in Planung, das allerdings dann doch nicht realisiert wurde. Erst 1955, erzählt Christian Berg, wurde ein modernes kleines Victoriahaus errichtet. Das wurde allerdings in den 1980er Jahren baufällig, denn Gewächshäuser werden durch die ständige Nässe im Innenraum ziemlich beansprucht.

Das neue Gewächshaus des botanischen Gartens mutet heute noch spektakulär an. Drei schiefe parabolische Körper aus Acrylglas schaffen durch ihre spezielle Ausrichtung und Konstruktion einen Lichtnutzungsgrad von 98 Prozent. Auf verschiedenen Höhen kann man verschiedene Klimazonen durchwandern – vom Unterwuchs über Treppen hoch bis in den grünen Kronenbereich der Bäume. Zitruspflanzen, Bananenstauden, Spritzgurken, Bitterorangen, Gemüse aus dem Bauerngarten. Die Ernte wird teilweise zu Kräutersalzen, verschiedenen Essigsorten, Marmeladen und Chutney verarbeitet und kann im Museumsshop für die Verkostung zu Hause gekauft werden.

Blüte der Riesenseerose Victoria Cruziana

Die Blüte der Riesenseerose Victoria Cruziana.

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Die Victoria Cruziana hat nun immerhin ihr eigenes Becken, das ihr zwar weniger Platz als in ihrer natürlichen Umgebung im Amazonas bietet, trotzdem zur Entwicklung ihrer Blüte ausreicht.

Heute steht nicht mehr Forschung sondern universitäre Lehre und Bewusstseinsbildung im Mittelpunkt des Botanischen Gartens in Graz. Und Conservation, auf Deutsch sinngemäß übersetzt mit: Naturschutz. So wird auch versucht, vom Aussterben bedrohte Arten wieder auszupflanzen. In Zeiten wachsenden Interesses an Umweltbildung, so Christian Berg, nehmen auch mehr Menschen das Angebot des Botanischen Gartens an. Die Leute wollen wissen, wie die unterschiedlichen Ökosysteme aufgebaut sind und einander beeinflussen.

Eine große Herausforderung sei es, Pflanzen faszinierend zu präsentieren und die Besucher in ihren Bann zu ziehen, so Christian Berg. Bei Tieren sei das schon einfacher. Eine botanische Ausnahme gibt es: die Victoria Seerose – sie ist allein durch die komplexe Kultivierung und ihre kurze Blütezeit eine Sensation.

Blüte und Knospe

Blüte und Knospe der Riesenseerose Victoria Cruziana.

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Selbst nach 30 Jahren Tätigkeit im Botanischen Garten in Graz ist der Gartenleiter Franz Stieber noch voller Begeisterung für die Victoria. Für ihn ist sie ein „Muss“ in jedem Tropenhaus. Ihre Kultur, so Franz Stieber, sei aufwendig und schwierig. Das beginnt schon mit der Vorkultur im Oktober. Das Becken wird teilweise abgelassen, um die erbsengroßen, dunkelbraunen Samen zu ernten und über den Winter im kalten Wasser im Dunkeln zu lagern. Anfang des Jahres werden die erbsengroßen Samen in kleinen Töpfen in einem Wasserbad bei 25 Grad Raumtemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit angebaut.

Lediglich zehn Prozent der Samen keimen aus – eine sehr geringe Keimquote, so Franz Stieber. Nach zweimaligem Umtopfen kommt die Pflanze je nach Witterung gegen Mitte oder Ende April ins Victoriabecken.

Die Victoria Cruziana braucht sehr viel Sauerstoff. Daher wird das Wasser mit Hilfe einer Umwälzpumpe ständig umgepumpt. Eine Vegetationslampe ungefähr einen Meter bis 1,50 über der Pflanze unterstützt sie beim Wachsen. Und das Substrat, in dem sie schwimmt, aus Hornspänen und gut verrottetem Pferdemist, wird schon im Herbst eingearbeitet.

Samenboden der Pflanze

Samenboden der Riesenseerose Victoria Cruziana.

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Wenn alles gut geht, entwickelt sie ihre Blätter, von denen jedes folgende Blatt größer ist als das vorhergehende. Alle Pflanzenteile sind stark bedornt. Die Blattunterseite ist streng geometrisch wie ein Träger aufgebaut. Das gibt dem Blatt seine außergewöhnliche Stabilität - eine schwimmende Insel, so Franz Stieber. Im Juni erreichen die Blätter einen Durchmesser von 1,50 bis 1,80. Sie können sogar bis zu 30 Kilogramm tragen. Ab dem zehnten Blatt kann man mit den ersten Knospen rechnen. Und dann wird es spannend.

Jeden Nachmittag kontrolliert Franz Stieber die Entwicklung der Knospen. Wenn ein leichter weißer Streifen sichtbar wird, „dann kannst du sicher sein, dass sie heute Nacht zu blühen beginnt“, erzählt der Gartenleiter begeistert.

Um etwa 18 Uhr öffnet sich die Knospe langsam zu einer strahlen weißen Blüte. Von Mitternacht bis 1 Uhr ist die handgroße Blüte komplett geöffnet. In der zweiten Nacht blüht sie dann dunkelrosa. In der freien Natur sendet sie einen Duftstoff aus, der eine spezielle Käferart anlockt, der für die Bestäubung der Samen zuständig ist. Am nächsten Morgen schließt sich die Blüte endgültig, während sie sich langsam dem Wasser zuneigt und schließlich unter der Oberfläche verschwindet.

Knospe der Riesenseerose Victoria Cruziana

Knospe der Riesenseerose Victoria Cruziana.

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In den Tropen sind die Tage das gesamte Jahr über rund 12 Stunden lang. Wenn die Tage Ende August in Österreich kürzer werden, kennt sich die Victoria Seerose gar nicht mehr aus und kollabiert langsam. Lampe, spezielle Lüftungsklappen, Umwälzpumpe und hohe Luftfeuchtigkeit. Ein Gewächshaus kann viel simulieren, doch die Sonne kann es nicht verstellen. Auch nicht das Gewächshaus des Architekten Volker Giencke im Botanischen Garten in Graz.

Die diesjährige Blüte der Victoria Cruziana steht übrigens kurz bevor. Wer die Victoria Seerose in ihrer vollen Pracht erleben möchte, kann den Botanischen Garten in Graz in ausgewählten Nächten besuchen. Die Termine werden kurzfristig je nach Blütetermin auf der Webseite des Botanischen Gartens angekündigt.

Gestaltung: Gestaltung: Margit Atzler

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