POLYFILM
"Eine größere Welt"
Film über mongolische Schamanin
"Mein Leben mit den Schamanen" heißt die autobiografische Erzählung der Musikerin und Komponistin Corine Sombrun, in der sie von ihrer unerwarteten Berufung zur Schamanin in einer Jurte in der Mongolei erzählt. Die französische Regisseurin Fabienne Berthaud hat dieses ungewöhnliche Erweckungserlebnis nun mit Cécile de France in der Hauptrolle verfilmt - glaubwürdig und spannend.
7. September 2020, 02:00
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Kulturjournal | 06 08 2020
Eine schamanische Trommel in der mongolischen Einöde bringt Corines Leben vollkommen aus dem Takt. Sie wird von Krämpfen geschüttelt, bricht in Wolfsgeheul aus und fällt in einen Trancezustand, aus dem sie völlig erschöpft erwacht.
Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie die Reise angetreten, um Abstand zu gewinnen und um Tonaufnahmen für eine Doku-Reihe zu sammeln, jetzt attestiert ihr die alte Schamanin mit dem gegerbten Gesicht, dass auch in ihr eine Schamanin schlummere. Corine müsse dringend ausgebildet werden, um mit ihrer Gabe keinen Schaden anzurichten.
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Irritiert geht sie zurück nach Frankreich und unterzieht sich einer Reihe neurologischer Untersuchungen, die ihr völlige Gesundheit bescheinigen und trotzdem keine Hilfe sind, denn sie fühle sich nur müde. Verschrieben wird ihr ein Antidepressivum und ein Neuroleptikum, denn "wenn Sie sich jedes Mal, wenn sie eine Trommel hören, für einen Wolf halten, haben Sie ein kleines Problem", so die Ärztin. Bis die trauernde Witwe doch wieder ihre Taschen packt und die Reise in die titelgebende "größere Welt" antritt.
Skeptischer Blick auf das Magische
Ihre Produzentin habe sie auf Corine Sombruns Buch aufmerksam gemacht, sagt die Regisseurin Fabienne Berthaud. Und sie habe sofort zugesagt, es zu verfilmen. "Ich hatte keine Ahnung von Schamanismus und von der Mongolei, und genau das hat mich am meisten interessiert. Ich bin mit einem Ethnologen hingereist, um den Stamm zu finden, bei dem wir drehten. Ich lebte eine Zeit lang mit ihnen und ließ mich sogar einmal in Trance versetzen ...
Ich musste das aus dem Innersten heraus für mich begreifen, um dann im Film einen Blick auf diese unsichtbare, magische Welt eröffnen zu können."
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Bei aller Faszination für das Übernatürliche verliert Fabienne Berthauds Film nie den skeptischen europäischen Blickwinkel der Protagonistin, der sich etwa im häufigen Einsatz der Handkamera niederschlägt. Das verleiht ihm eine große Glaubwürdigkeit und der Handlung eine durchgehende Spannung, die zusammen mit dem stimmigen Rhythmus und den knappen Dialogen einen starken Sog entwickelt.
Meisterliche Gratwanderung
Dass die Gratwanderung zwischen Verneigung vor der mongolischen Kultur und Verhaftung im westlichen Kulturkreis, zwischen berührendem Drama und pathetischem Kitsch so meisterlich gelingt, hängt wesentlich mit dem eindrucksvollen Schauspiel der Hauptdarstellerin Cécile de France zusammen, aber auch mit der klugen Montage, Bild- und Musikauswahl und mit Episoden wie jener, als Corine voller Wissensdurst zum zweiten Mal zur Schamanin aufbricht, um dann statt einer Ausbildung nur Arbeitsaufträge wie Holzhacken, Viehhüten oder Wasserholen erhält, damit sie erst einmal den achtsamen und respektvollen Umgang mit der Natur und ihren Geistern lernt.
Die Bäume sprechen, man kommuniziert mit der Natur ...
Fabienne Berthaud: "In der Mongolei ist der Glaube an Geister völlig normal. Die Bäume sprechen, man kommuniziert mit der Natur, dem Himmel und der Erde - alles ist Teil des Lebens und man bittet bei allem, was man tut, die Natur um Erlaubnis. In unserer Kultur hingegen trampelt man alles nieder und fühlt sich als König der Welt, ohne jeglichen Respekt vor der Natur und den Geistern. Das sieht man auch im Umgang mit Verrückten: Hier in Frankreich verabreicht man Corine Medikamente, dort sagt man, sie habe eine Gabe."
Das langsame Begreifen dieser Gabe, aber auch das Hadern mit ihr auf subtile und facettenreiche Weise zu vermitteln, zählt zu den großen Stärken von "Eine größere Welt". Zweifellos eines der Highlights unter den dicht gesäten Kinoneustarts dieser Woche.