Jacob Kirkegaard, Field Recording

JEFFREY MOORE

ORF musikprotokoll

Hidden Sounds

Klang kann als Metapher für das Allgegenwärtige stehen. Physiologisch sind wir nicht imstande, unsere Ohren zu schließen. Klang umgibt uns permanent, aber unser Gehirn entscheidet, was ausgeblendet und was verarbeitet wird. Beim musikprotokoll 2020 stehen Klangwelten im Mittelpunkt, die oft lediglich technisch messbar oder mit menschlichen Sinnen nur rudimentär erfahrbar sind.

Die 53. Festivalausgabe präsentiert in mehr als dreißig Ur- und österreichischen Erstaufführungen unterschiedliche Zugänge zum Aufspüren von und zur Arbeit mit verborgenen Klängen - „Hidden Sounds“.

Die thematischen Ansätze sind äußerst vielschichtig und reichen von der Vergänglichkeit digitaler Klänge über die Sonifikation von Daten und das Wechselfeld zwischen auditivem Bewusstsein und eigener Identität bis hin zu Klangumgebungen, von denen der menschliche Körper post mortem umgeben ist.

[PLAY >] on stage

Trotz aller sicherheitstechnischen Hürden steht auch bei dieser Festivaledition das Livekonzert im Mittelpunkt. In der Helmut-List-Halle ist das RSO Wien erstmals mit seiner neuen Chefdirigentin, Marin Alsop, beim musikprotokoll zu Gast. Das Arditti Quartett eröffnet mit Musik von Clemens Gadenstätter eine strenge Gruselkammer des Hörens, inspiriert von Tizians Schindung des Marsyas, aber auch Francis Bacons schreienden Päpsten.

Das Klangforum Wien lotet mit Hyperopia von Dorian Concept die Grenzen der E-Musik aus. Maja Mijatovic zeigt, dass das Cembalo auch eine Hauptrolle in der zeitgenössischen Musik spielen kann. Die legendäre Wiener Band Elektro Guzzi trifft auf die Pianistin Ingrid Schmoliner.

Musiker/innen des SHAPE-Festivalnetzwerks für innovative Musik und audiovisuelle Kunst, des Grazer Vereins die andere saite und Electric Indigo machen den Grazer Dom im Berg zum „Hidden Dome“ und nutzen die 58-Kanal-Anlage für die Spatialisierung ihres Klangmaterials.

Peter Kutin, erster österreichischer Gewinner einer Goldenen Nica bei der Ars Electronica, lässt im Verbund mit NO1 das Objekt ROTOЯ zu einem „sonic body“ werden. Den Abschluss bildet das neue Musiktheater POPULUS von Peter Jakober.

Weiße Kanten und Verläufe, Sujet

Tingles & Clicks

ORF/MUSIKPROTOKOLL

[PAUSE II] online

1997 wurde das musikprotokoll zum ersten Mal live im Netz mit Bild und Ton gestreamt, damals eine Pioniertat. 2020 kommt eine innovative neue Facette ins Spiel - dynamisches Streaming, ein Verfahren, das in Kooperation mit dem Grazer IEM (Institut für Elektrische Musik und Akustik) entstanden ist.

Die ORF-Surround- und Bildaufnahmen der Konzerte werden nach dem Festival via Online-Player, der auf Kopfbewegungen reagiert, erlebbar sein. Computer, Webcam und Kopfhörer ermöglichen dann interaktive, auditive Ein-Personen-Erlebnisse.

Ein weiteres Internetprojekt ist „Tingles & Clicks“. Darin beschäftigen sich europäische Komponist/innen mit dem Social-Distancing-Verhalten, das uns diese globale Gesundheitskrise abverlangt. Zum Einsatz kommen ähnliche Technologien wie beim dynamischen Streaming, sie erlauben es jedoch auch, auf das gestreamte Material formal einzuwirken. So erhält das Hören einen gestaltenden Aspekt.

Sujet

ORF

[REWIND <<] on air

Begleitet und dokumentiert wird diese musikprotokoll-Ausgabe durch fast 30 Sendungen im Programm von Österreich 1, u. a. sind der Komponist Philipp Maintz und der Pianist Joonas Ahonen bei einem Klassik-Treffpunkt zu Gast. Aber nicht nur als Reflexionsraum, sondern auch als Produktionsraum spielt das Radio in Radiokunst - Kunstradio wieder eine Rolle.

Text: Fränk Zimmer

Service

ORF musikprotokoll 2020

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