John Lennon

AP/KIRSTY WIGGLESWORTH

Spielräume - Nachtausgabe

John Lennon, Hausmann und Revolutionär

„I don’t believe in Beatles.“ Der Bruch hätte härter nicht sein können als im Song "God" auf John Lennons erstem Album nach Auflösung der Band, deren intellektueller Leader er war. Eine Absage an praktisch alles, woran sich glauben lässt: Magie und I-Ching, die Bibel, Buddha und Jesus, Hitler und Kennedy, Elvis, Zimmerman, also Bob Dylan - und eben die erfolgreichste Popformation aller Zeiten. Der Traum ist vorbei.

1970 beginnt John Lennons zweites Leben. Eine Psychotherapie beim Psychoanalytiker und Begründer der Primärtherapie Arthur Janov bringt John Lennon an die Wurzeln seines kreativen Schaffens: Es sind die Verluste der Kindheit.

In peinsamen Liedern wie "Mother" schreit Lennon sich tiefen Schmerz vom Leib. Wenig später entsteht "Imagine": ein Song wie eine Hymne, die in wenigen Worten die Vision der 1960er und 70er Jahre umfasst - von einer friedlichen Menschheit ohne Besitz und Religion, Staatsgrenzen und Krieg.

„I just believe in me, Yoko and me, and that’s reality."

John Lennon ist wohl der erste, und vielleicht bis heute radikalste Erzähler über sich selbst – im Medium Popmusik. Nicht an der Oberfläche, sondern tief unter der Haut, an den seelischen Wunden durch den frühen Tod der Mutter und noch frühere Verletzungen: durch einen Vater, der weggeht und den Fünfjährigen vor die Wahl stellt, mitzukommen oder bei der Mutter zu bleiben… die ihn letztlich, überfordert, zur Tante gibt.

Die Aufarbeitung der Kindheit wie auch der chaotischen Zeit als rebellischer Kopf der Fab Four, als Berufsmusiker seit Teenager-Tagen, bildet einen der Stränge von Lennons Schaffens im Post-Beatles-Jahrzehnt. Ein zweiter: Liebeslieder an Yoko Ono, die Liebhaberin, Beschützerin, zweite Mama – manchmal zärtlich, poetisch wie „Jealous Guy“, manchmal peinlich in der eigenen Herabwürdigung.

Dazu kommen Lieder über die Bewältigung des Lebens, mit dem Lennon nach fünf Jahren fern des Rockrummels seinen Frieden geschlossen zu haben schien: „Watching the wheels go round…“

"Close your eyes, have no fear, the monster’s gone, he’s on the run and your daddy’s here.”

Die 1970er Jahre, Lennons Dekade des Suchens und Experimentierens, bringen aber auch „Working Class Hero“ hervor, die unübertroffen scharfe Analyse von Herrschaft und Untertanentum; tagesaktuelle politische Kampflieder für verfolgte Bürgerrechtler/innen – aber auch, in scheinbar unüberbrückbarem Gegensatz, den Weihnachtssong "Happy Xmas", bis heute alljährlich populär.

Daneben entstehen hedonistische Rock-'n'-Roll-Songs: “Whatever Gets You Thru The Night”. Und schließlich eines der schönsten Lieder eines Vaters an sein Kind, „Beautiful Boy“: „Close your eyes, have no fear, the monster’s gone, he’s on the run and your daddy’s here.”

John Lennons Wandlung vom Rockstar-Raubein zum liebenden Familienvater, der auch diese Lebensphase kreativ umzusetzen beginnt, wird jäh beendet.

John Lennons Wirkung ist mit seiner Ermordung nicht vorbei

In der Erinnerung vieler Menschen sind die Schüsse am 8. Dezember 1980 vor dem Dakota-Building in New York ein einschneidendes Ereignis. Der Tod kommt zu einem Zeitpunkt, als John Lennon nach fünfjähriger Pause Kraft geschöpft hat - drei Wochen davor ist das Album Double Fantasy erschienen, es wurde sein meistverkauftes.

John Lennons Wirkung ist mit seiner Ermordung nicht vorbei. Jugendliche in Prag, Warschau und Ost-Berlin singen "Give Peace A Chance", die Worte stehen auf Ansteckern und Transparenten bei Friedensdemos im Westen und werden mit dem Kugelschreiber auf Schultaschen gemalt. Immer neue Bücher und Filme beschäftigen sich posthum mit dem Phänomen Lennon und seiner bewegten Biografie.

Was dieses Phänomen ausmacht? Zum einen wohl, dass John Lennons Leben und Werk den gesellschaftlichen Wandel seiner Zeit reflektieren und ihn vorangetrieben haben – wie schon davor die Musik der Beatles und ihre Verwandlung von harmloser Boygroup zur künstlerischen Avantgarde. Was Lennon bis heute einzigartig macht, das ist wohl die Kombination unterschiedlichster, widersprüchlicher Seiten und Eigenschaften – und seine Rolle als Pionier des Sprechens, Schreibens und Singens in erster, eigener Person, der gerade dadurch allgemein Gültiges sagen kann.

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