Gemälde von Stefanie Gutheil

ATELIER STEFANIE GUTHEIL

Kunst

Stefanie Gutheil: "Bad Painting" war gestern!

Ihre Bilder sind bunt, brachial und überbordend, bevölkert von eigenartigen Mischwesen, die an die Sagen und Mythen vergangener Tage erinnern. Dabei ist Stefanie Gutheils Malerei stilistisch ganz in der Gegenwart verankert - inspiriert von Comics und zeitgenössischem Lifestyle.

Mitunter wird das Werk der deutschen Künstlerin mit der Zeitgeist-Etikette "Bad Painting" versehen. Dass diese Kritikerschublade zu kurz greift, beweist die 40-Jährige in einer Ausstellung, die ab 8. Dezember wieder in der Galerie Krinzinger Projekte zu sehen ist.

Kulturjournal | 18 11 2020

Christine Scheucher

Sie sitzen in der U-Bahn, lehnen an einer Häuserwand, starren auf das Display ihrer Handys, sie tragen Sneakers und Jogginghosen und: Ihre Gesichter sind vermummt. "Quarantäne" heißt die aktuelle Werkserie der deutschen Malerin Stefanie Gutheil, eine Momentaufnahme entstanden während des ersten Lockdowns im vergangenen März und April.

Als sich die Corona-Krise zum ersten Mal zuspitzt, ist Stefanie Gutheil gerade in New York, um am Rande der Armory Show auszustellen. Sie erwischt eines der letzten Flugzeuge nach Berlin, zieht sich in ihr Atelier zurück und beginnt zu malen: "Drei Tage nach meiner Ankunft in Berlin fing der Lockdown an. Ich bin dann schnell einkaufen gegangen. Ich habe auch gehortet, aber kein Toilettenpapier oder Nudeln, sondern Farbe und Leinwände", erinnert sich die Künstlerin. "Diese ersten Tage und Wochen, in denen ständig neue Nachrichten auf uns einprasselten, waren wirklich schräg. Diese Stimmung ist in meine Malerei eingeflossen."

Gemälde von Stefanie Gutheil

ATELIER STEFANIE GUTHEIL

Quarantäne, 2020

Maske, Rolle, Uniform

Den staatlich verordneten Rückzug in die eigenen vier Wände macht Stefanie Gutheil für ihre Malerei produktiv. Das Emblem des Ausnahmezustands, die Maske, taucht in diesen Bildern geradezu leitmotivisch auf. Doch die symbolpolitische Aufladung der Maske, die als Versatzstück der Krise eine unsichtbare Gefahr sichtbar macht, und wohl gerade deshalb zum Zankapfel geworden ist, interessiert Gutheil nicht. Stattdessen seziert sie malend die Oberflächen der Formen, analysiert die Uniformität, die sich über Mode und Lifestyle, zuletzt über Vorschriften - Stichwort Maskenpflicht! - in die Körper einschreibt.

Wie viele Gesichter haben Menschen?

"In meinen Bildern waren Masken immer schon ein Thema. Jeder trägt eine Maske, spielt eine Rolle. In meiner Malerei geht es oft darum, wie viele Gesichter und Alter Egos Menschen haben. Deswegen war es für mich klar, dass ich diese Masken, die wir zunächst wegen des Vermummungsverbots nicht tragen durften, und dann plötzlich tragen müssten, malen muss", resümiert Gutheil.

Stilistisch oszilliert Stefanie Gutheils Malerei zwischen zwei Polen: Sie hat an der Universität der Künste in Berlin bei Karl Horst Hödicke, einem Wegbereiter der Neuen Wilden, studiert. Aus dieser Schule stammt wohl ihr expressiver Pinselstrich, der ihre figurative Malerei unverwechselbar macht. Doch die flächige Malerei, deren Verwandtschaft zum Comic unübersehbar ist, steht mitunter im Gegensatz zu einem pastosen Farbauftrag, der Gutheils Bildern eine dreidimensionale Tiefe verleiht. "Ich mag diesen Kontrast: Für mich ist das Wechselspiel zwischen dem Zweidimensionalen und Dreidimensionalen wichtig. Das unterscheidet meine Ästhetik deutlich vom Comic."

2020: Jahr der Transformation

"Zwei Null Zwei Null" heißt die Ausstellung, die nach dem aktuellen Lockdown wieder in der Galerie Krinzinger Projekte zu sehen ist. 2020 ist für Stefanie Gutheil ein besonderes Jahr, ein Jahr der Transformation. Nicht nur wegen Corona. Die queere Künstlerin hat sich in diesem Jahr einer hormonellen Geschlechtsumwandlung unterzogen. 40 Jahre lang lebte Gutheil im falschen Körper. Ein Gefühl der Entfremdung begleitet sie seit ihrer Jugend im katholischen Dorf am Bodensee, wo sie scheel angesehen wird und nie richtig dazugehört.

Es ist fast so, als hätte ich zwei Leben

"Ich bin in den 1990er Jahren am Dorf aufgewachsen. Transmenschen gab es damals gar nicht in der öffentlichen Wahrnehmung, Lesbe war ein Schimpfwort. Ich habe mich einfach falsch gefühlt. Meine Empfindung war verboten", erzählt die Künstlerin. "Sobald man in so einem Dorf anders ist, ist man schon sehr auffällig. Ich fühlte mich wie ein Alien. Wenn ich in der Stadt aufgewachsen wäre, wäre es wohl ganz anders gewesen. Ich bin mit 16 Jahren bereits nach Ulm gezogen und als mir auch Ulm zu klein geworden ist nach Berlin."

Das Spiel mit der Geschlechteridentität

Kein Zufall also, dass sich oft Mischwesen, Monster, Tiere oder auch Menschen, deren geschlechtliche Identität unklar ist, in Gutheils fast surreal anmutendem Bilduniversum tummeln. "Ich habe mich sehr spät für eine Geschlechtsumwandlung entschieden. Erst nach 40 Jahren. Immerhin wurde ich als Frau sozialisiert. Ich habe beruflich alles, was ich erreicht habe, als Frau erreicht. Auch in Zeiten als es noch nicht cool war, als Frau zu malen. Andererseits finde ich diesen Wechsel der Geschlechteridentität auch ziemlich spannend. Ich war 40 Jahre eine Frau und werde womöglich genauso lange ein Mann sein. Ich kann in eine völlig andere Rolle schlüpfen. Insofern ist es fast so, als hätte ich zwei Leben. Wer kann das schon? Es ist eine großartige Möglichkeit!"

Geschlechterklischees und tradierte Rollenbilder wird Stefanie Gutheil wohl auch im Blick behalten, nachdem ihre Geschlechtsumwandlung zum Mann vollzogen ist. Denn es sind und bleiben die Freaks, die Ausgestoßenen, die Außenseiter, die ihre Fantasie beflügeln.

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