Stadtgrafik

NONCONFORM

Mischkonzepte gesucht

Zukunft des Wohnens

Wie werden wir nach Corona leben, wo werden wir arbeiten? Das sind Fragen, über die sich Architektinnen und Stadtplaner jetzt schon Gedanken machen.

Und manche sehen in den Entwicklungen der Arbeitswelt der letzten Monate - also die rasend vorangeschrittene Digitalisierung und die örtliche Distanz zu den Kollegen und Mitarbeiterinnen - durchaus auch Chancen für die Wohnräume der Zukunft. Als positiver Nebeneffekt könnten da auch verwaiste Ortskerne revitalisiert und das motorisierte Pendeln reduziert werden.

Früher Undenkbares läuft nun am Schnürchen

Die Veränderungen, die das Büroarbeitsleben seit Beginn der Pandemie erfahren hat, sind enorm - und werden vermutlich nicht oder kaum zurückgenommen werden. Um Kontakte zu vermeiden, wurde der Arbeitsplatz vieler Menschen mit Bürotätigkeit in ihre Wohnungen verlegt - man arbeitet am Küchentisch, im Wohnzimmer oder im Abstellkammerl, sofern man nicht den Luxus eines eigenen Arbeitszimmers daheim genießt. Das heißt: Was vorher undenkbar schien, dass viele Tätigkeiten von zuhause aus gemacht werden können, das läuft jetzt scheinbar wie am Schnürchen.

Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zeigen sich in Umfragen mit Homeoffice zufrieden und werden es wohl auch beibehalten wollen, wenn der persönliche Kontakt mit Menschen wieder möglich ist. Diesen Umstand wird man bei der Planung zukünftiger Wohnräume bedenken müssen. Doch auch auf die Gestaltung von Bürobauten wird das Phänomen Homeoffice Auswirkungen haben.

Es gilt, intelligente Mischkonzepte auszudenken

Der Architekt Roland Gruber und der Landschaftsarchitekt Florian Kluge vom Büro nonconform sehen gerade jetzt die Möglichkeit für Weichenstellungen in der Architektur und Raumplanung: "Jetzt ist der Gestaltungsspielraum da, etwas zu verändern", so Kluge, "und das kann eben nicht heißen, jeder kriegt in seiner Wohnung zwei Zimmer mehr, weil er ein Büro braucht. Oder wir schaffen woanders Büroräume ab, weil die Unternehmen kleiner werden. Es gilt, intelligente Mischkonzepte auszudenken, die diesen Anforderungen gerecht werden, aber auch diese große Chance nutzen."

Co-Working-Space für Angestellte

Lösungsansätze sind in Modellen zu finden, die in den letzten Jahren bereits erfolgreich erprobt worden sind und vor allem in urbanen Räumen großen Zuspruch finden, etwa das bei Selbständigen beliebte Co-Working. In größeren Räumen werden einzelne Arbeitsplätze gemietet, die Infrastruktur wird - vom Besprechungsraum über den Drucker bis zur Kaffeemaschine - geteilt, und im Idealfall hat man in den Co-Working-Nachbarn auch noch gleichgesinnte Gesprächspartner, um sich über die Projekte auszutauschen.

Das könnte auch für Angestellte funktionieren, meint Roland Gruber - ob in der Stadt oder am Land. Public Homeoffice nennt er das: "Die Idee des Public Homeoffice ist, dass Angestellte eines Unternehmens ähnlich arbeiten wie Selbständige, die sich in einem Co-Working gefunden haben und gemeinschaftlich handeln. Man lebt voneinander entfernt, aber arbeitet gemeinsam. Die Infrastruktur könnte von der öffentlichen Hand, etwa von einer Kommune, bereitgestellt werden; man muss nicht mehr alleine daheim arbeiten, sondern teilt das Arbeitsleben - wenn auch nicht mit dem eigenen Unternehmen, sondern mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind."

Umwelt entlasten, Ortskerne beleben

Das würde freilich die zu Büros umfunktionierten Wohnräume entlasten. Und, ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Wenn man sich den Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnortes einrichten kann, werden wohl viele mit dem Auto zurückgelegte Kilometer wegfallen - ein Plus sowohl für die Lebensqualität, als auch für die Umwelt, meinen die Architekten Florian Kluge und Roland Gruber. Außerdem, so Gruber, könnten Leerstände genützt und verwaiste Ortskerne belebt werden: "Man müsste als Pendlerin nicht mehr irgendwo in einem Supermarkt am Stadtrand einkaufen, sondern wieder beim Nahversorger im eigenen Ort; man könnte ins Wirtshaus ums Eck Mittagessen gehen. Also es hat vielleicht auch ganz positive Nebeneffekte, die wir bisher noch gar nicht erahnen können."

Nonconform versteht sich als "Ideenwerkstatt" und ist spezialisiert auf gemeinschaftliches Bauen und partizipative Prozesse, oft im ländlichen Raum - derzeit ist nonconform in der Ausstellung "Sorge um den Bestand" des Deutschen Architektur Zentrums vertreten. Nonconform beschäftigt sich schon lange mit der Problematik, dass die Städte immer dichter werden und - auf vorher unbebautem Gebiet - wachsen, während Ortskerne im ländlichen Raum verwaisen; das Büro hat einige Projekte praktisch umgesetzt, die dieser Entwicklung punktuell erfolgreich entgegenwirken.

Gemeinsam durch widrige Zeiten

In der niederösterreichischen Gemeinde Pressbaum hat nonconform in einem partizipativen Prozess das Bauprojekt B.R.O.T. entwickelt, das steht für "Begegnen", "Reden", "Offensein" und "Teilen". Es besteht aus zehn Holzwohnhäusern, sowie einem Gemeinschaftshaus. Wie hat diese generationenübergreifende Gemeinschaft nun mithilfe der baulichen Infrastruktur auf Lockdown reagiert, wie ist man da mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie umgegangen, also mit Kontaktbeschränkungen, Ausgangsverboten, Homeschooling und Homeoffice?

Auch hier sieht Roland Gruber den Schlüssel in der soliden Gemeinschaft: "Nach einem mehrjährigen Entwicklungsprozess des Bauwerks kennen sich die Beteiligten sehr gut. Vertrauen ist geschaffen, Barrieren sind abgebaut - es geht um ein Teilen, um ein Miteinander. So einer Gemeinschaft fällt es leichter, auch so schwierige Zeiten wie jetzt zu bewältigen. Homeschooling wurde gemeinsam organisiert - es gibt ja ein Gemeinschaftshaus. Lebensmittelversorgung gibt es von einer Food Coop. Der Garten wird von allen genützt", und auch digitale Begegnungsräume wurden geschaffen, so Florian Kluge über die Mehrgenerationenmischung der Baugruppe: "Die jüngeren, die es können, helfen da den älteren Generationen, sich digital begegnen zu können. Also, die Gemeinschaft funktioniert auf ganz vielen Ebenen."

Gestaltung

  • Anna Soucek