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Wiener Philharmoniker
Das Neujahrskonzert 2021
Mit den Walzer- und Polkamelodien der Familie Strauß wurde auch der Neujahrstag 2021 begangen: Die Wiener Philharmoniker spielten am 1. Jänner ihr traditionelles Neujahrskonzert im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, das heuer in 90 Länder übertragen wurde. Aufgrund der Pandemie-Bestimmungen fand das Konzert diesmal allerdings ohne Live-Publikum statt. Bereits zum sechsten Mal am Neujahrspult stand Riccardo Muti, der sich mit einer besonders eindringlichen "Botschaft der Hoffnung" an sein Publikum wandte. Als Nachfolger für 2022 gaben die Wiener Philharmoniker den Generalmusikdirektors der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Daniel Barenboim bekannt.
29. Jänner 2021, 02:00
Mutis Botschaft an die Regierenden dieser Welt
Der 79-jährige Muti ließ sich bei der 81. Auflage des Neujahrskonzerts von der Musik immer wieder mitreißen und lieferte trotz coronabedingter Einschränkungen wie gewohnt eine fulminante Hommage an die Straußsche Komponisten-Dynastie und ihre Weggefährten.
In seiner Ansprache, die er vor dem Donauwalzer hielt, meinte der Maestro, dass es sehr seltsam sei, in solch einem historischen Ambiente, umgeben vom Geiste Brahms', Bruckners und Mahlers völlig ohne Publikum zu spielen. Es sei für alle ein schreckliches Jahr gewesen. Musik aber bringe Freude, Hoffnung, Friede, Brüderlichkeit und Liebe. Musik sei nicht nur Unterhaltung. Musik habe die Mission, die Gesellschaft besser zu machen. Dies umso mehr in einem Jahr, in dem das Denken vor allem um unser aller Gesundheit kreiste. Seine Botschaft an alle Regierenden dieser Welt sei, so Muti, Kultur als wesentliches Element für eine bessere Gesellschaft zu begreifen.
"Die Musik des Neujahrskonzerts hat uns über viele Höhen und Tiefen hinweggetragen", betonte Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer in einem kurzen Neujahrsgruß. Man wolle mit diesem besonderen Konzert ein "Signal der Hoffnung und des Optimismus" senden. Vor allem nach der Pause, bei Melodien von Franz von Suppé und Karl Komzak, gelang der bittersüße, schwerelose Tanz über die Brücke der Nostalgie, die das Traurige und das trotzig Schöne in der Wiener Musik so unzertrennlich macht - nicht zuletzt im herausragend musizierten "Kaiserwalzer".
"Speranza" - Hoffnung - wollte der Maestro dem Publikum schenken, wie er im Vorfeld betont hatte.
Gerade jetzt müssen wir Hoffnung haben.
Muti, der im Sommer seinen 80. Geburtstag feiern wird, verbindet mit den Wiener Philharmonikern mittlerweile eine fünfzigjährige Zusammenarbeit, die in der kommenden Saison intensiv vom Orchester gewürdigt wird. Am Pult des Neujahrskonzerts stand er bereits zum sechsten Mal. Wie jeder seiner bisherigen Einsätze war auch dieser gekennzeichnet vom eleganten Ringen um den letzten Schliff, der abermaligen, kantigen Verfeinerung der rhetorischen und dynamischen Figuren und von der Nähe zu Italien und seiner verwandten musikalischen Sprache. Stücke wie Strauss' "Neue Melodien-Quadrille" mit Zitaten aus den Opern Giuseppe Verdis waren dabei nicht zuletzt ein Knicks vor dem Maestro selbst.
Bei der Entscheidung, ihn auch ein weiteres Mal mit dem Neujahrskonzert zu betrauen, war vom Coronavirus freilich noch keine Rede. "Wir haben viel diskutiert, Konzert ja oder nein", berichtete Muti. "Das Resultat war:
Wir können die Musik und die Kultur nicht abschaffen.
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Strenges Sicherheitskonzept
Das Orchester arbeitete mit einer strengen täglichen Teststrategie, abseits der Bühne wurden stets FFP2-Masken getragen, dazu kam das detaillierte Präventionskonzept des Musikvereins und des ORF. "Wir nehmen diese Maßnahmen auf uns, weil wir es als großes Privileg empfinden, spielen zu dürfen", so Froschauer. "Mit diesem Privileg gehen wir verantwortungsvoll um." Im Goldenen Saal, der aktuell "mit Konzertsälen in der ganzen Welt das traurige Schicksal teilt, zu schweigen", wie Musikvereins-Intendant Stephan Pauly betonte, hatten noch im Herbst Konzerte - ebenfalls unter strengen Vorkehrungen - stattgefunden.
Einmal vergaß Muti die Coronabestimmungen und streckte dem ersten Geiger aus alter Gewohnheit die Hand entgegen. Der ergriff sie aber nicht. Stattdessen klopften die Musiker mit ihren Bögen symbolisch Beifall auf ihre Notenständer.
Das Neujahrskonzert im ORF
Ein Fernsehevent war das Neujahrskonzert freilich schon lange. 1959 fand die erste ORF-Übertragung statt, erst jüngst wurde der Kooperationsvertrag, der auch das Sommernachtskonzert Schönbrunn umfasst, bis ins Jahr 2027 verlängert.
Wegen Erfolgs verlängert
Neujahrskonzert im ORF für fünf weitere Jahre gesichert.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
"In dieser langen Reihe wird aber dieses Neujahrskonzert einzigartig sein", so ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz im Vorfeld des Konzerts. "Ich bin im Namen von Millionen von Fernsehzuschauern dankbar, die dieses starke Hoffnungssignal empfangen werden. In so vielen Ländern können Kulturereignisse nicht stattfinden. Da ist es umso schöner, dass aus Wien und in dieser Qualität die Herzen von Musikliebhabern in der ganzen Welt erhellt werden."
Herr über die vierzehn Kameras im Goldenen Saal war Bildregie-Routinier Henning Kasten. Weil im Saal kein Publikum zugelassen war, startete der ORF eine interaktive Applaus-Kollekte - wie so viele Gesten der sozialen Verbundenheit im vergangenen Jahr - über das Internet. Tausende Zuschauer aus der ganzen Welt sendeten Applausspenden im Audioformat, das gesammelt im Saal eingespielt wurde - darunter etwa UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, wie ORF-TV-Moderatorin Barbara Rett verriet.
Für den guten Radioton sorgten Tonmeister Friedrich Trondl, unterstützt ua. von Manuel Radinger und Wolfgang Wesely, die Aufnahmeleitung hatte Florian Rosensteiner. Durch das Konzert führte in Christoph Wagner-Trenkwitz.
In der Pause des Neujahrskonzerts würdigte der Pausenfilm im Fernsehen diesmal das Burgenland mit seiner Natur und Kulturgeschichte, sowie mit seinem reichen musikalischen Erbe rund um Haydn und Liszt. In Ö1 war der Philharmoniker und Kontrabassist Michael Bladerer bei Katharina Menhofer im "Intermezzo" zu Gast.
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Das Programm des Neujahrskonzerts
- Franz von Suppè: Fatinitza-Marsch
- Johann Strauß (Sohn): Schallwellen, Walzer op. 148
- Johann Strauß (Sohn): Niko-Polka op. 228
- Josef Strauß: Ohne Sorgen, Polka schnell op. 271
- Carl Zeller: Grubenlichter, Walzer
- Karl Millöcker: In Saus und Braus, Galopp
- Pause -
- Franz von Suppè: Ouvertüre zu "Dichter und Bauer"
- Karl Komzák: Bad'ner Mad'ln, Walzer op. 257
- Josef Strauß: Margherita-Polka op. 244
- Johann Strauß (Vater): Venetianer-Galopp op. 74
- Johann Strauß (Sohn): Frühlingsstimmen, Walzer op. 410
- Johann Strauß (Sohn): Im Krapfenwaldl, Polka française op. 336
- Johann Strauß (Sohn): Neue Melodien-Quadrille op. 254
- Johann Strauß (Sohn): Kaiser-Walzer op. 437
- Johann Strauß (Sohn): Stürmisch in Lieb' und Tanz, Polka schnell op. 393
Das Repertoire sei für einen Dirigenten alles andere als einfach, betonte Neujahrs-Veteran Muti.
Die Leute glauben, das ist einfache Musik. Nein! Wenn du eine Mischung finden willst zwischen deinen Ideen und der Tradition, die dem Orchester innewohnt, brauchst du einen wirklich guten Piloten.
Vor seinem ersten Neujahrskonzert habe er nächtelang nicht schlafen können. "Es ist schwierig, diesem Orchester mit diesem Repertoire gegenüberzutreten. Ich hatte das Gefühl, da richte ich eher Schaden an."
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Die Musik sei delikat, fordernd und technisch schwierig. "Das Orchester spielt immer mit Kraft und Zuversicht, aber: so richtig entspannt man sich erst beim 'Radetzkymarsch'. Die 'blaue Donau' ist so delikat, ein kleiner Fehler ruiniert alles. Ich möchte mit dem ersten Hornisten nicht tauschen!" Auch der befreiende Radetzkymarsch wird heuer freilich anders sein, so ganz ohne Livepublikum zum Mitklatschen. "Ich wurde gefragt, wie kann man ihn ohne Applaus spielen?", so Muti. "Ich verrate ihnen etwas: Das Stück wurde ohne Applaus geschrieben!"
Barenboim wird Neujahrsdirigent 2022
Daniel Barenboim, Generalmusikdirektors der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wird 2022 das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Musikverein dirigieren. Das gab das Orchester am heutigen Freitag gegenüber der APA bekannt. Damit setzt man nach Routinier Riccardo Muti, der heuer bereits auf seinen sechsten Einsatz am Neujahrskonzertpult kam, auf einen ebenfalls erfahrenen Dirigenten. So wird der Auftritt von Barenboim am 1. Jänner 2022 sein drittes Engagement für das Neujahrskonzert nach 2009 und 2014 werden.
Text: APA/red.