T.C. Boyle

APA/DPA/BRITTA PEDERSEN

"Sprich mit mir"

Neuer Roman von T.C. Boyle

In "Sprich mit mir" wirft T.C. Boyle ethische Fragen rund um das Thema Tierrechte auf.

Er gilt als Popstar unter den Literaten, war einst Frontman einer Punkband und bezeichnete das Schreiben als seine Ersatzdroge. Die Schreibsucht treibt T.C. Boyle seither an. Fast jedes Jahr publiziert der 72-Jährige einen Roman oder einen Erzählband. Dieser Tage ist sein neuer Roman "Sprich mit mir" in der deutschen Übersetzung erschienen.

"Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch" Gottfried Benn

Eigentlich wäre er jetzt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour. Covidbedingt empfängt der begnadete Performer T.C. Boyle Journalisten und Journalistinnen via Skype in seinem Arbeits- und Schreibzimmer. In der Kommandozentrale also, wo jene Werke entstehen, mit denen Boyle seit Jahrzehnten eine internationale Leserschaft begeistert. Von dort aus meldete sich der scharfzüngige Kritiker der Administration Donald Trump in den vergangenen Monaten auch regelmäßig, um sich politisch einzumischen.

Deutsche Übersetzung vor Original

Der 20. Jänner, der Tag von Joe Bidens Angelobung, sei für ihn ein Tag der Befreiung gewesen, so T. C. Boyle: "Unser Land war in der Hand eines Kriminellen, der sich nur für sein eigenes Konto und sein Ego interessiert hat. Nun werden wir von einem Staatsdiener regiert, der der aktuellen Krise mit Verantwortungsbewusstsein begegnet. Jetzt können wir aufatmen!"

Als kritischer Intellektueller findet Boyle in den USA Gehör, als Meister des klassischen Storytelling wird er vor allem im deutschsprachigen Raum gefeiert. Wohl ein Grund, warum sein aktueller Roman "Sprich mit mir" zuerst in der deutschen Übersetzung erscheint. Das englischsprachige Original wird voraussichtlich erst im September auf den Markt kommen - auch für diese Verspätung ist die Corona-Pandemie verantwortlich. "Es war geplant, dass die deutsche Übersetzung zuerst erscheint. Aber nun sind meine englischsprachigen Leserinnen doch etwas empört, dass sie so lange warten müssen", so der Autor.

"Die Inauguration war ein Tag der Befreiung!" T.C. Boyle

Wir schreiben das Jahr 1979. Guy Schemerhorn, ein aufstrebender Psychologieprofessor Anfang Dreißig, tritt in der TV-Show "Sprich die Wahrheit" auf - begleitet von einem Schimpansen namens Sam, den der Wissenschaftler persönlich großgezogen hat. Sam ist nicht nur besonders clever, mithilfe der Gebärdensprache kann sich Sam auch mit seiner Umwelt verständigen.

Sprachexperiment mit Schimpanse Sam

Nach Descartes ist der Mensch das einzige Lebewesen, das über Sprache und Schrift verfügt. Ein Glaubenssatz, an dem der Primatenforscher Schemerhorn rüttelt. Im Zentrum des Romans stehe die Frage, ob Tiere über ein Bewusstsein verfügen, so T.C. Boyle: "Ich versuche mich in jeden Charakter hineinzuversetzen - selbst in einen Schimpansen. Es hat mir großen Spaß gemacht, die Perspektive des Schimpansen einzunehmen. Ich bin mit einer Primatenforscherin befreundet und hatte die Gelegenheit, Schimpansen im Zoo zu beobachten. Außerdem habe ich einige Bücher gelesen, die sich mit der Primatenforschung der 1970er und 1980er Jahre befassen."

Schimpanse Sam, der wie ein Menschenkind sozialisiert wurde und zur studentischen Hilfskraft Aimée ein besonders inniges Verhältnis entwickelt, fühlt sich in der abgelegenen Forscher-Kommune, in der Schemerhorn seine Studie und damit die eigene Karriere vorantreibt, wohl und aufgehoben. Doch die Gefahr droht von außen in der Gestalt von Schemerhorns Vorgesetzten, der das Sprachexperiment völlig abrupt abbricht. Er überführt Sam in ein Gehege in Iowa. Als ausgewachsener Schimpanse soll Sam der biomedizinischen Forschung als Versuchsobjekt dienen.

Buchumschlag

HANSER VERLAG

Meister der Dramaturgie

"Sprich mit mir" besticht erzähltechnisch vor allem durch seine perspektivischen Brechungen, der Text ist teilweise aus der Perspektive des Forschers erzählt, teilweise aus der Perspektive des Schimpansen Sam. "Ich habe es sehr genossen, die Perspektive des Schimpansen einzunehmen", so T.C. Boyle. "Wie fühlt sich ein Schimpanse, der in einer Familie aufwächst und schließlich in einen Käfig gesperrt wird? Genau das ist mit den lebendigen Studienobjekten der Behavioristen passiert. Schimpansen sind sehr kräftig. Deshalb wurden die meisten Schimpansen, deren Sprachkompetenz trainiert wurde, in Forschungslabore gesteckt, sobald sie die Adoleszenz erreicht hatten. Man verwendete sie als Versuchstiere und infizierte sie mit dem HIV-Virus oder Hepatitis C. Ich finde das absolut obszön!"

Gespür für Debatten der Zeit

T.C: Boyle zieht alle Register der klassischen Erzählkunst und erweist sich vor allem im Hinblick auf die Wendung, die der Roman am Ende nimmt, als Meister der Dramaturgie. Streckenweise wirken die wohlfeilen Spannungsbögen, die der Autor aufspannt, fast ein wenig zu routiniert, so als hätte der solide Handwerker Boyle seinen Text am Reißbrett entworfen. Dessen ungeachtet hat Boyle mit der Themenwahl seines jüngsten Romans großes Gespür für die Umbrüche und Debatten der Zeit bewiesen.

In "Sprich mit mir" leuchtet der Autor das mitunter durchwachsene Verhältnis von Mensch und Tier aus und schreibt sich in eine große ethische Debatte ein, die unseren Umgang mit Tieren - sei es in der industriellen Landwirtschaft, sei es in der medizinischen Forschung, in Frage stellt. Ein Verhältnis, das der große Dichter Gottfried Benn mit einem Aperçu auf den Punkt gebracht hat: "Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch!"

Service

T.C. Boyle, "Sprich mit mir", Roman, aus dem Englischen von Dirk Gunsteren, Hanser

Gestaltung

Übersicht