Lisa Krusche

CHARLOTTE KRUSCHE

Roman

Lisa Krusches Debüt "Unsere anarchistischen Herzen"

2020 sorgte die in Hildesheim geborene Lisa Krusche beim Bachmannpreis mit einem dystopischen Text für eine hitzige Jurydiskussion und nahm am Ende den mit 12.500 Euro dotieren Deutschlandfunkpreis entgegen. Nun erscheint ihr Debütroman "Unsere anarchistischen Herzen" als jugendliche Abrechnung mit der selbstgefälligen Wohlstandsgesellschaft.

Charles‘ Vater, Künstler am absteigenden Ast, läuft nackt durch Berlin und probt vor seiner ehemaligen Galerie den Aufstand. Doch die 17jährige ist schon zur Stelle, fährt ihm im Uber nach, packt ihn in einen Bademantel und holt ihn rechtzeitig vor Eintreffen der Polizei nach Hause. Wenn die Eltern im neuen dörflichen Domizil mit Hippie-Freunden feiern, räumt sie am nächsten Tag auf und verteilt Aspirin unter den verkatert herumliegenden Gästen.

Unterdessen liefert sich ein paar Kilometer weiter die gleichaltrige Gwen heimlich Schlägereien in der Hochhaussiedlung, damit die Schrammen, Platzwunden und Rippenbrüche den Schmerz der elterlichen Demütigung und Vernachlässigung überdecken. Die trägt sie wie Trophäen vom Kampf nach Hause – nein, nicht in der Sozialwohnung, sondern in der noblen Architektenvilla.

Wohlstandsverwahrlosung und elterliche Egotrips

Ob sie ihre Leserschaft anfangs absichtlich im Unklaren lässt über die sozialen Verhältnisse ihre Protagonistinnen, will Lisa Krusche nicht sagen. Aber es sei doch bemerkenswert, so die Autorin, „dass man Verwahrlosung und Brutalität immer gleich sogenannten sozial schwachen Familien zuschreibt.“ Und gleich noch eine Absonderlichkeit findet Lisa Krusche im Begriff „sozial schwach“.

Ein Gespräch mit der 1991 in Hildesheim geborenen Schriftstellerin schärft die Sensibilität für gesellschaftliche Um- und Missstände. Mit ebenso scharfen Sinnen schickt sie ihre beiden Protagonistinnen durch den Roman. Erst spät werden sich die eingeschüchterte Gwen, die ihre Kampftechnik mit Youtube schult, und die charakterstarke Charles, die in jeder Lebenssituation die richtige Frage oder Entgegnung parat hat, über den Weg laufen.

Sprachlich von Akademikerdeutsch bis Jugendjargon

Ihre Freundschaft wird beiden Mädchen zum Rettungsanker, während sie mit den emotionalen, esoterischen und sonstigen Exzessen der Eltern und den eigenen Tücken des Erwachsenwerdens zurande kommen müssen. Abwechselnd lässt sie Lisa Krusche erzählen, zunächst jede für sich, dann von den gemeinsamen Episoden.

Ihre jeweils charakteristische, ausgeprägte eigene Sprache und Ausdrucksweise verblüfft anfangs, in der sie Jugendjargon mit theoretischen Diskursen und derbe Schimpftiraden mit ethischen Debatten verknüpfen und ihre Tweets oder Whatsapp-Dialoge nahtlos in den Erzählfluss einbinden.

Nicht ihre Idee, sagt Lisa Krusche, sondern einmal mehr die ihrer Figuren: „Die tauchen manchmal einfach bei mir auf und bringen oft in einzelnen Sätzen oder Episoden schon einen ganz eigenen Tonfall mit. Dann muss ich nur noch genau hinhören, inwiefern sie sich unterscheiden oder überschneiden, auch in ihren Lebensanschauungen.“

Ode an die Freundschaft

Welche tiefen Furchen hinterlassen Egoismus und Empathielosigkeit der Eltern in den Kinderseelen, und wie kann man versuchen, sie wieder zu glätten, lautet die zentrale Frage ihres Debütromans, der die Antwort in Form einer kraftvollen, innigen und zarten Ode an die Frauenfreundschaft liefert –äußerst erfrischend und hoch an der Zeit nach all den Jahrhunderten literarisch abgefeierter Männerfreundschaften.

Gestaltung