Buch des Monats

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

August 2021

Dzevad Karahasan, "Tagebuch der Übersiedlung"

Dzevad Karahasans "Tagebuch der Übersiedlung" ist das Ö1 Buch des Monats August.

1993 wurde Dzevad Karahasan auf einen Schlag bekannt. Im Februar war er aus dem von bosnisch-serbischen Truppen belagerten und beschossenen Sarajewo geflohen. Wenige Monate später erschien Karahasans "Tagebuch der Aussiedlung", in dem er die Größe und Bedeutung der geliebten Stadt im Augenblick ihres Untergangs beschwört.

28 Jahre sowie zahlreiche Romane, Essays und Auszeichnungen später erscheint jetzt eine Neuausgabe des "Tagebuchs der Aussiedlung". Der Umfang hat sich verdoppelt, der Titel ist leicht verändert: Er lautet "Tagebuch der Übersiedlung". Übersiedlung bezeichnet - anders als die Aussiedlung - die Bewegung zwischen zwei oder mehr Orten. Karahasan verarbeitet seinen Schmerz durch die Wendung ins Grundsätzliche, Anthropologische.

Eine faszinierende Mischung

Sein Buch ist eine faszinierende Mischung aus kulturwissenschaftlicher Analyse, lebensweltlichen Anekdoten, soziologischen, philosophischen und sogar gastronomischen Betrachtungen - und von traumatisierender Gewalterfahrung.

Die älteren Texte des Bandes entstanden teilweise unter Todesgefahr und später mit dem schlechten Gewissen eines Mannes, der seine geliebte Stadt und ihre Bewohner den Henkern überlassen hatte. Sie erzählen mit konzentrierter Wucht von Alltag, Überlebenswillen und Kriegsverbrechen.

Erweitert um fünf Essays

Der Neuausgabe sind fünf Essays beigegeben, in denen Karahasan über die Nationalliteratur Bosniens und Herzegowinas nach dem Brand der Nationalbibliothek nachdenkt, über die Verantwortung der Literatur für die Kriege und über die Melancholie.

Service

Dzevad Karahasan, "Tagebuch der Übersiedlung", aus dem Bosnischen von Katharina Wolf-Grießhaber, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 222 Seiten