MARKUS SEPPERER
Gewaltrausch & Plastik
Wien Modern zeigt "Poppaea"
Das Festival Wien Modern steuert auf seinen ersten Höhepunkt zu: Am Freitag hat im Odeon-Theater die Oper "Poppaea" Premiere. Der US-amerikanische Komponist Michael Hersch verhandelt darin das gewaltsame Schicksal der einst mächtigsten Frau Roms.
6. Dezember 2021, 02:00
Die Tötung einer Frau und ihres ungeborenen Kindes steht am Beginn dieses Opernwerks, in dem die Gewalt von Anfang an hörbar, sichtbar und spürbar ist. Im römischen Kaiserhaus unter Nero haben alle Mechanismen von Zivilisation und Kontrolle versagt. Erst bringt Poppea Nero dazu, seine erste Frau Octavia zu verstoßen und grausam zu ermorden; am Ende fällt sie der Spirale von Machtstreben und Gewalt selbst zum Opfer.
"Es geht im Kern um eine Welt, die sich noch den Anschein gibt, zu funktionieren", sagt der Regisseur Markus Bothe, der diese Uraufführungs-Koproduktion von Wien Modern und dem Festival ZeitRäume Basel inszeniert. "Doch Kategorien wie Humanismus und Menschlichkeit bilden hier nur eine ganz dünne Schale."
MARKUS SEPPERER
Kein barockes Happy End
"Poppaea" setzt dort an, wo Claudio Monteverdis "L'incoronazione di Poppea" endet. An das barock-typische Happy End und den Sieg der Liebe glauben der Komponist und Michael Hersch und seine Librettistin Stephanie Fleischmann allerdings nicht. Die Ambivalenz der Titelfigur, die bereits bei Monteverdi grundgelegt ist, treiben sie auf die Spitze: Poppea ist in diesem moralfreien System Täterin und Opfer zugleich.
Michael Hersch hat für ein achtzehnköpfiges Instrumentalensemble, Frauenchor und Solisten eine hochexpressive Musik komponiert - langgezogene, vibratolose Töne bestimmen die Gesangspartien. Die Titelrolle hat Hersch ganz auf die Sopranistin Ah-Young Hong zugeschnitten; mit ihr arbeitet er seit Jahren zusammen und hat etwa mit dem zweistündigen Monodrama "The Threshold of Winter" große Aufmerksamkeit erregt. "Nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihr Gesicht, ihre Bühnenpräsenz, ihre Ideen und Erfahrungen beeinflussen meine Arbeit grundlegend", sagt Hersch.
Gewalt an Puppen
Wie inszeniert man Gewalt und vermeidet zugleich Voyeurismus? Markus Bothe lässt auf der Bühne fleischfarbene Figuren malträtieren. Auf dieser findet sich auch eine ganze Ladung Zivilisationsmüll in Form von tausenden PET-Flaschen, die als Vorhang den Blick verschleiern. Doch von schönen Fassaden wird an diesem Opernabend nicht viel übrigbleiben.
Im September war "Poppaea" bereits im neu eingerichteten Kulturzentrum der Kirche Don Bosco in Basel zu sehen, nun zeigt Wien Modern die Oper in der klassizistischen Säulenhalle des Wiener Odeon-Theaters.