FILMLADEN FILMVERLEIH
Film von C.B. Yi
"Moneyboys" - Chinas Sexarbeiter
"Moneyboys" werden in China junge Männer genannt, die sich prostituieren und so auch das Leben ihrer Familien am Land mitfinanzieren. Von einem solchen Sexarbeiter erzählt der gleichnamige Film. Es ist das vielversprechende Langfilm-Debüt des chinesisch-stämmigen, österreichischen Regisseurs C.B. Yi. "Moneyboys" hatte 2021 in der renommierten Cannes-Nebenreihe "Un Certain Regard" seine Weltpremiere.
20. Februar 2022, 02:00
Selten wird man in "Moneyboys" Menschen sehen, die so sehr im Moment versunken sind und die Welt um sich herum vergessen zu haben scheinen, wie die zwei jungen Männer in der Karaokebar: Perfekt ausgeleuchtet und kadriert, an der leuchtend blauen Wand übergroße Mohnblumen in rot und weiß, davor eine Ledercouch und die beiden Singenden - lachend.
"In der chinesischen Gesellschaft lebt man eigentlich für die Masse", sagt der Regisseur: "Man wird sozialisiert als kleine Ameise. Dadurch ist die Meinung der Nachbarn und Verwandten viel wichtiger, und der Gesichtsverlust viel ärger, gerade am Land." Und davon erzählt C.B. Yi in "Moneyboys". Vom Gesichtsverlust eines jungen Mannes, der in seinem Versuch, ein eigenes Leben in der Großstadt zu leben, immer zurückgeworfen wird auf die Verantwortung, die ihn an seine Familie bindet.
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"Wer verkauft seinen Körper nicht?"
Er könne sein Geld anders verdienen, sagt Fei zu seinem Freund, der ihn vor einem Freier warnt. Fei selbst könne seine schwerkranke Mutter nicht im Stich lassen. Der junge Mann arbeitet als Sexarbeiter, mit dem Geld finanziert er die Behandlung seiner Mutter, aber auch nach deren Tod wird er sich weiter prostituieren und seine Familie am Land finanziell unterstützen. Die dankt es ihm bei einem seiner seltenen Besuche mit Ablehnung. Vater und Schwester senken ihre Blicke schweigend, der Onkel erhebt die Stimme. Ohne die Homosexualität oder den Beruf des Sexarbeiters zu benennen, wird hier von Schande und von Gesichtsverlust in der Dorfgemeinschaft gesprochen.
"Was ich von Haneke gelernt habe, ist Genauigkeit", C.B. Yi
Acht Jahre lang hat C.B. Yi an seinem Film gearbeitet. Im Zuge der Recherchen stieß er auf ein Buch, in dem Interviews mit über 2.000 jungen, chinesischen Sexarbeitern zusammengetragen waren. Und aus deren Geschichten hat Yi seine Hauptfigur geformt. Aber Fei ist dann vor allem auch Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Themen, die in diesem Film verhandelt werden. Da wird eine Scheinhochzeit für die Eltern gefeiert. Yi erzählt vom Konflikt zwischen Alt und Jung, von den patriarchalen Strukturen und der Perspektivlosigkeit, die eine junge Generation vom Land in die Stadt treibt. "Wer verkauft denn seinen Körper nicht, um Geld zu verdienen?" Entgegnet ein junger Mann aus dem Dorf, wenn Fei ihn davon abbringen will, als Moneyboy sein Glück zu suchen.
Erzählen in der Totale
Dort die Tradition, hier die Realität, in der Träume nur schwer einlösbar sind. Mit Jean-Louis Villard haben die Produzenten dem Mitte 40-jährigen Regiedebütanten einen erfahrenen Kameramann zur Seite gestellt, der unter anderem schon mit Apichatpong Weerasethakul bei "Tropical Melody" zusammengearbeitet hat. Die Bilder sind aufwendig komponiert, immer wieder wird in Plansequenzen, meist aber in langen, statischen Einstellungen erzählt, die die Figuren in der Totale in Bezug zu ihrer Umgebung setzen. Und in einer elliptischen Erzählstruktur begleitet der Film Fei dann durch verschiedene Phasen seines Lebens.
"Ich würde sagen, dass Fei ein ganz durchschnittlicher junger Mann vom Land ist. Alles, was ihm passiert, kommt von außen. Er kann nur reagieren auf das, was von außen auf ihn zukommt", so Yi.
Auf der chinesischen Insel Yuhuan geboren, folgte Yi als Teenager seinen Eltern in die Steiermark. Er studierte erst in Wien Sinologie, wechselte dann auf die Filmakademie zu Michael Haneke. Die Arbeit an "Moneyboys" sei jetzt mehr als nur eine Rückkehr nach China gewesen: "Es war eine Entdeckungsreise, ich wollte China kennenlernen, das ich ja nur aus meiner Kindheit kannte."
Fernab der chinesischen Zensurbehörde
Ursprünglich wollte Yi den Film auch auf Festlandchina drehen. Aber in jene Zeit, als 2018 der Casting-Prozess fast abgeschlossen war, fiel auch das monatelange Verschwinden der Starschauspielerin Fan Bingbing. Nach ihrer Rückkehr an die Öffentlichkeit wurde sie mit einer Steuernachzahlung von über 100 Millionen Euro abgestraft, in sozialen Netzwerken bat sie öffentlich um Vergebung.
"Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das heißt: 'Einem Hendl den Kopf abhacken, vor der Affengruppe.' Nach dieser Bestrafung von Fan Bingbing kam es zu einem Appell vom Filmbüro, bestimmte Filme nicht zu machen." Mit "bestimmten Filmen" war auch eine europäische Produktion mit homosexueller Hauptfigur gemeint, die als Sexarbeiter die sozioökonomischen Schieflagen in der chinesischen Gesellschaft thematisiert, und so Yi: "Da muss man nicht mehr lange drüber reden. Man weiß, was passiert." Und so wich Yi nach Taiwan aus, einem der liberalsten asiatischen Länder im Umgang mit Homosexualität, in dem seit 2019 die Ehe für alle erlaubt ist und das Team auch keinen Begleiter der chinesischen Zensurbehörden ans Set geschickt bekam.
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Aufgewachsen zwischen China und Österreich
Aufgewachsen zwischen China und Österreich, fühlt sich der Filmemacher auch künstlerisch zwischen dem asiatischen und dem europäischen Kino sozialisiert: "Als ich das erste Mal in Wien alleine ins Kino gegangen bin, habe ich Wong Kar-Wais ‚In the Mood for Love‘ gesehen. Und ja, ich habe da eine Nähe gespürt." Hier die Filme von Ozu, Tsai Ming-liang oder Hou Hsiao-Hsien - dort die Lehrmeister im europäischen Film: "Was ich von Haneke gelernt habe, ist Genauigkeit! Auch schon beim Drehbuchschreiben muss man genau wissen, was man drehen möchte, was man erzählen möchte."
"Moneyboys" ist der vielversprechende Auftakt zu einer geplanten Trilogie rund um das Thema Selbstakzeptanz zwischen Stadt und Land und verschiedenen Generationen. Derzeit arbeitet C.B. Yi am Drehbuch für Teil Zwei, der geplante Drehort ist dann Wien.