Bronzeskulptur "Brick House" von Simone Leigh

APA/AFP/Vincenzo PINTO

Kunst

59. Biennale Venedig öffnet ihre Tore

Mit der Auszeichnung von zwei international gefeierten Künstlerinnen der Black Community hat die Jury der Kunstbiennale in Venedig gleich zum Auftakt Zeichen gesetzt. Die Britin Sonia Boyce und die US-Amerikanerin Simone Leigh erhielten am Eröffnungstag in der Lagunenstadt mit zwei Goldenen Löwen die wichtigsten Preise der Biennale. Die Kunstbiennale Venedig gilt neben der documenta in Kassel als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. Die 59. Biennale, coronabedingt um ein Jahr verschoben, wird bis zum 27. November geöffnet sein.

Sonia Boyce erhielt die Auszeichnung für ihre Arbeit im britischen Pavillon. Sie sieht in dem Preis auch ein Zeichen für die internationale schwarze Kunstszene. "Wir sind hier. Wir gehen nicht mehr weg", sagte Boyce der Deutschen Presse-Agentur in Venedig zur Bedeutung der Auszeichnung. "Es werden noch mehr fabelhafte Dinge passieren." Es gebe ungemein viele Talente unter schwarzen Künstlerinnen und Künstlern. "Ich kann es kaum erwarten, dass sich andere durchsetzen."

Videoinstallation im britischen Pavillon

"Feeling Her Way" von Sonia Boyce im britischen Pavillon.

APA/AFP/VINCENZO PINTO

Boyce, die auch Professorin für Black Art und Design ist, gilt seit Jahrzehnten als wichtige Vertreterin im Kampf um Anerkennung für Künstlerinnen und gegen Rassismus. Im britischen Pavillon zeigt sie mit ihrer Arbeit "Feeling Her Way" die Kraft weiblichen Gesangs. Die Stimmen von fünf schwarzen Sängerinnen füllen die Räume des Pavillons einzeln und kombiniert über große Bildschirme. Die ebenso kraftvoll wie verletzlich wirkenden Töne umgeben dabei geometrisch strukturierte goldene Elemente an den Wänden.

APA/AFP/Vincenzo PINTO

Kuratorin Cecilia Alemani vor Simone Leighs Bronzeskulptur "Brick House" in der zweiten großen Spielstätte der Biennale, dem ehemaligen Arsenal.

"The Milk of Dreams"

Die US-Amerikanerin Simone Leigh ist gleich zweimal vertreten, sie hat auch den Länderpavillon der USA gestaltet, in dem sie mit ihren großformatigen Skulpturen selbstbewusst Rolle und Aufbruch der schwarzen Community thematisiert. Ausgezeichnet wurde Leigh für ihren Beitrag in der bereits seit Tagen gefeierten Biennale-Ausstellung "The Milk of Dreams" der in New York lebenden Kuratorin Cecilia Alemani. Ihre Großplastik einer wie verblendet erscheinenden Schwarzen steht am Anfang des zweiten Biennale-Areals Arsenale. Der Libanese Cherri wurde für seine multimediale Installation "Of Men and Gods and Mud" als hoffnungsvoller Newcomer ausgezeichnet.

Die in New York lebende Kuratorin Cecilia Alemani hat zur Ausstellung "The Milk of Dreams" 213 Künstlerinnen und Künstler aus 58 Ländern mit mehr als 1500 Arbeiten eingeladen. Der Titel geht zurück auf ein Kinderbuch der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington (1917–2011), die darin eine sich durch Imagination ständig neu erfindende magische Welt beschreibt.

Im Eingangsbereich des zentralen Pavillons empfängt Katharina Fritschs lebensgroßer "Elefant" von 1987 die Besucherinnen und Besucher, dessen Verbindung von grünlicher Farbe und realistischen Formen auf die surrealistische Reise der Ausstellung vorzubereiten scheint. Die für ihre Plastiken international gefeierte Düsseldorfer Künstlerin wird in diesem Jahr mit einem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Neben Fritsch erhielt auch die chilenische Künstlerin Cecilia Vicuna einen Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.

80 Länderpavillons in Giardini und Arsenale

Bei den Bewertungen für die Länderpavillons erhielt das erstmals auf der Biennale vertretene Uganda mit den Arbeiten von Acaye Kerunen und Collin Sekajugo eine besondere Erwähnung. Beide werteten die Auszeichnung als wichtigen Hinweis auf die häufig noch immer unterschätzte Kunstszene afrikanischer Länder.

Ebenfalls besonders erwähnt wurde der französische Pavillon, vor dem sich auf dem Biennale-Gelände seit Tagen lange Schlangen von Interessierten bilden. In den unter anderem von den beiden Direktoren des Hamburger Bahnhofs in Berlin, Sam Bardaouil und Till Fellrath, kuratierten Räumen analysiert die französisch-algerische Künstlerin Zineb Sedira anhand rekonstruierter Szenen in einer Mischung aus Dokumenten und Fiktion Fragen von politischen Umbrüchen und Feminismus.

Österreichische Horizonterweiterung

Im österreichischen Pavillon thematisieren Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl die dystopischen Umstände der Gegenwart, die frappant an jene der 1970er Jahre erinnerten, die im Pavillon verhandelt werden.

"Wir träumen derzeit nicht von einer besseren Welt", hielt Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) anlässlich der Pressekonferenz am Donnerstag in Hinblick auf das Biennale-Motto "The Milk of Dreams" fest. Vielmehr gelte es nun mehr als in den vergangenen Jahren, die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung in Teilen Europas wieder herzustellen. Umso mehr freue sich Mayer, dass die Ausstellung "Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts" von Knebl und Scheirl "den Horizont der Betrachter erweitert".

Um ehrlich zu sein, es war immer mein Traum, diesen Pavillon zu kuratieren.

Für die Kuratorin der Ausstellung, mumok-Chefin Karola Kraus, lädt diese offene Bühne das Publikum ein, deren Welt des Begehrens zu erkunden. Knebl und Scheirl, so Kraus, spielten in ihren Arbeiten "humorvoll mit dem menschlichen Körper".

Die gespiegelte Architektur des Pavillons nutzen die beiden für zwei zwar für getrennte Präsentationen, verweisen in ihren Arbeiten aber auch immer wieder aufeinander.

Überdimensionale Schaumstoffhand

Ashley Hans Scheirls Hälfte des österreichischen Pavillons

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Scheirl bespielt den linken Hauptraum mit einem begehbaren Proszenium und führt die Besucher:innen durch die flachen, hintereinander in den Raum gesetzten Kulissen immer tiefer in ihren Kosmos ein. So findet sich hier etwa ein mit flauschigem Fell überzogener Panzer, der Pillen in den Raum schleudert, an der Decke prangt ein goldener Anus, an den Wänden finden sich großformatige Gemälde, in denen sich beide Künstler*innen wiederfinden. Thematisch orientieren sich die Arbeiten ironische an Voyeurismus, Exhibitionismus und Fetischismus, der bis zu einer eigens geprägten Goldmünze mit Scheirls Konterfei reicht.

Kunststofffiguren

Jakob Lena Knebl bespielt die zweite Hälfte des Josef-Hoffmann-Pavillons in Venedig.

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Mehrere in 3D-Druck gefertigte quietschbunte Skulpturen begrüßen die Besucher auf der rechten Seite des Pavillons, den Knebl gestaltet hat. Auch hier steht das Begehren im Vordergrund, wenn Mensch und Ding miteinander verschmelzen. Aber auch die erneute Zusammenführung der Sparten Kunst und Design wird hier verhandelt. In den beiden hinteren Räumen, die ebenfalls gespiegelt sind, präsentieren die beiden idente, aber gespiegelte Tapeten, auf denen 70er-Interieurs von Küchen und Wohnzimmern zu sehen sind. Auf die Frage, wie wichtig es ihnen sei, gemeinsam zu arbeiten, hieß es knapp. "Wir sind sehr froh, nicht ohne einander hier zu sein."

Die Biennale im Spiegel des Ukraine-Kriegs

Der russische Pavillon steht nach dem Rückzug des künstlerischen Teams in diesem Jahr leer. Auf dem Biennale-Gelände ist das Gebäude prominent platziert und wird die ganze Zeit über von Polizei bewacht, um Übergriffe aus Protest gegen den russischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Kulturschaffende haben am Freitag vor dem russischen Pavillon gegen den Krieg in der Ukraine protestiert.

Der ukrainische Schauspieler Alexey Yudnikov realisierte einige Minuten lang eine Performance, bevor Polizisten ihn vom russischen Pavillon wegbegleiteten. Yudnikov trat dafür zunächst mit langem dunklen Mantel auf und trug eine Maske, die an den russischen Präsidenten Wladimir Putin denken ließ.

Nur wenige Meter weiter ist an einem sehr zentralen Ort die Arbeit "Piazza Ucraina" aufgebaut. Um einen Turm aus Sandsäcken sind dort Arbeiten etwa von ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die wegen des Krieges nicht reisen können.

Die Ukraine ist zudem mit einem eigenen Pavillon vertreten. Der ukrainische Zeichner und Bildhauer Pawlo Makow hat nach eigenen Angaben eine "Metapher für Erschöpfung" geschaffen.

Porträt

Pawlo Makow sieht seine Arbeit für Venedig als "Metapher für Erschöpfung".

APA/AFP/VINCENZO PINTO

In seiner Arbeit fließt Wasser durch eine pyramidenförmige Konstruktion von Trichtern und teilt sich so immer weiter auf. Makow sieht dies als "eine Verbindung zu den demokratischen Gesellschaften in dieser Zeit, weil sie nicht darauf vorbereitet sind, sich selbst zu beschützen."

Deutscher Pavillon geht eigener Geschiche auf den Grund

Im Deutschen Pavillon hat die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn die Struktur des von den Nazis umgebauten Gebäudes und so seine Geschichte freigelegt.

Deutscher Pavillon

DEUTSCHERPAVILLON.ORG

Der deutsche Pavillon war wegen seiner Nazi-Architektur immer wieder Anlass künstlerischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Eigentlich sollte er gar nicht da sein. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn wollte den wegen seiner Nazi-Architektur seit Jahrzehnten umstrittenen Deutschen Pavillon für die Zeit der Kunstbiennale in Venedig von seinem prominenten Platz in den Giardini mit Blick auf Lagune und Stadt einfach verschwinden lassen. Statt rund 1500 Tonnen faschistischer Architektur ein leerer Platz zum Nachdenken über Diktatur, Widerstand und die Rolle der Kunst.

Nach Einsprüchen und mangelnder Unterstützung bei italienischem Denkmalschutz und deutschen Bedenkenträgern gegen das radikale Gedankenexperiment steht das Gebäude noch. Jedoch ist für Eichhorn schon die Vorstellung einer Translozierung Teil des Kunstwerks. "Die temporäre Versetzung des Deutschen Pavillons ist eine künstlerische Arbeit, die auch ohne ihre materielle Ausführung existiert", schreibt Kurator Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig in Köln, dazu.

Mit ihrer Arbeit "Relocating a structure" hat Eichhorn in beeindruckend schlichter Weise nun seine Vergangenheit sichtbar gemacht. "Wir sind in zwei Gebäuden", beschreibt Eichhorn den Zustand. Die Nazis haben den ursprünglich als Bayerischer Pavillon errichteten Bau nicht abgerissen, sondern monströs erweitert: eine vier Meter höhere Decke, Vergrößerung um eine Apsis, mächtige Säulen statt schmaler Pfeiler im gewaltigen Portikus. Eichhorn ließ die Schnittstellen freilegen. Hinter dem Putz sind nun zugemauerte Durchgänge sichtbar, ehemalige Außenwände, alte Verbindungen, Beton der Nazis auf gemauerten Wänden.

Gestaltung: APA/Red/JS

Service

Biennale Arte 2022