APA/HERBERT NEUBAUER
Gedanken | 19 06 2022
Lob der Langeweile
Ist die Langeweile noch zu retten? Die Schriftstellerin Isabella Feimer macht sich Gedanken über die vielen Facetten eines sehr menschlichen Phänomens.
18. Juli 2022, 02:00
Langeweile zeigt sich dir als Dauer Zeit - Zeit, die nicht zu messen, nicht zu fassen ist, ein Ungetüm geworden, das größer ist als du, eilig wächst es, wirft im Wachsen einen Schatten, der auf dich niederdrückt, macht deinen Körper klein und trotzdem schwer, kein Seufzen hilft, kein Atmen, diesem Ungetüm entkommst du nicht.
Du kannst nicht anders, musst dich ihr stellen, ihrer Wandlungsfähigkeit, mal ihrem süßen Beigeschmack, mal dem bitteren danach, beides kennst du, bist mit beidem Kind gewesen, verspielt in Langeweile, die nicht von Dauer war, nicht wie jetzt bloß Dauer ist, Gleichklang, eine Eintonmelodie, die dich in ihr versponnen hat.
Der Ton der Langeweile irritiert, verstört mitunter, Langeweile darf nicht sein, darf dich nicht treffen, dein Ziel ist die Erfüllung im Beschäftigtsein, im Staunen über das Erlebte, ist man gelangweilt, erlebt man nichts. Die Unruhe, die die Langeweile begleitet, irritiert zutiefst, ist so, als hörte man ein quälendes Geräusch, dessen Ursprung man nicht kennt, ein Ticken, Schaben, Kratzen, die Sehnsucht nach immer etwas anderem pocht laut, eiskalt selbst an den schönsten Orten, im Blick aufs Blau des Himmels.
ORF/JOHANNES PUCH
Dabei, lenkst du in deine Gedanken ein, kann, sitzt du die Langeweile aus, doch auch in ihr Erfüllung warten, im Nichts sitzt Schönheit, lässt man es denn zu, der schöpferische Funke, und wieder bist du Kind, das sich von Langeweile zu Langeweile die Zeit verspielt.
Erinnere dich, wie du dem Nichts der Zeit die wildesten Geschichten entlockt hast, wie ein Abenteuer dem nächsten folgte, wohin dich ein Schmetterling getragen hat, wie Wäsche, die zum Trocknen hing, dir Segel über Ozeane setzte, erinnere dich, wie Langeweile dich entdecken ließ, das Kleine und das Kleinste.
Langeweile zeigt die Zeit als ausgehöhlte Leere, als Fassade, deren Verputz abgebröckelt ist, Reste einer Zeit wie Scherben, nichts setzt sie erneut zusammen, nichts macht das Kaputte wieder ganz, das Kaputte spürst du - und dass Zeit verfallen ist.
Versunkenheit wie diese, denkst du, musst du dir leisten können, das träge Nichtstun, Sommer, Sonntag, den bereits erwähnten Himmelsblick, die Stunden Bildschirmscrollen, die auch nichts anderes als Langeweile sind, Langeweile ist ein saturiertes Ding.
Langeweile thront, aufgeladen von Jahrhunderten, beherrscht eigennützig das Reich der Möglichkeiten, lässt keine, nicht die noch so kleinste zu, unterdrückt und lässt dich taumeln, wie trunken schwankst du in den Fäden, an denen sie dich hält.
Festgehalten, eingeschnürt, du in ihr, in das Gewohnte, stets das eine, selbe Tun, das Fließbandleben, und der Atem flach, das Herz kaum hörbar, unterfordert ist dein Tag in dieser Überforderung, und Angst besetzt dich, Angst, dem Grau der Tage nicht zu entrinnen.
Du stellst dir dieses Grau der Tage, Wildfang-Kind, das du manchmal noch im Herzen bist, auf einer Leinwand vor, hast sie mit deinen Blicken gänzlich in dem Grau bemalt, in der Farbe Langeweile, und lange schaust du hin, atmest es, versinkst in ihm, sinkst tiefer, bis du unter seine Oberfläche tauchst.
Dann, ganz zart, zeichnen sich Striche in das öde Bild, und Farben sanft, und Muster, die dir langsam anderes zu erkennen geben, Ausschnitte der Welt, die dich beglücken und dich aus deinen Alltagsschnüren befreien, auch einen Himmel, wie du ihn vielleicht noch nie gesehen hast, auch ein Dahinter, das nur Langeweile sichtbar macht.
Text: Isabella Feimer