
AFP/FABRICE COFFRINI
Das Ö1 Konzert
RSO & Alphorn-Quartett in Salzburg
Zeitgenössische Musik in traditionellem Spiel. Das RSO Wien und das Alphorn-Quartett spielen bei den Salzburger Festspielen Stücke von Georg Friedrich Haas, György Ligeti und Leos Janacek.
17. September 2022, 02:00
Es ist wohl eines der größten europäischen Instrumente: das Alphorn. Im Schnitt zwischen drei und vier Meter ist es lang - und doch stecken erstaunlich wenige Töne darin. Das liegt an der Art der Klangerzeugung: Weder mit Klappen noch mit Ventilen ausgestattet, entstehen die Töne beim Alphorn durch Überblasen und angepasste Lippenspannung am Mundstück. Oder besser gesagt: im Alphorn.
Hier ein kleiner physikalischer Exkurs: Durch das Anblasen des Horns werden stehende Wellen im Instrument erzeugt. Ausgehend vom Grundton, der tiefsten möglichen Frequenz, entstehen durch Veränderungen des Luftstroms ganzzahlige Vielfache dieses Tones und damit neue Töne - et voilà, die berühmte Naturtonreihe erklingt aus dem Alphorn.
„Concerto grosso Nr. 1 für vier Alphörner und großes Orchester“
Die Töne der Naturtonreihe stimmen nicht mit jenen der heute in der westlichen Musik üblichen, wohltemperierten Orchesterstimmung überein. Die Frequenzen der einzelnen Töne weichen einmal mehr, einmal weniger voneinander ab; parallel gespielt, entstehen Reibungen und Schwebungen in unterschiedlicher Intensität. Die ideale Spielwiese also für den Spektralmusikkomponisten Georg Friedrich Haas, zu dessen Spezialgebieten Mikrointervallik und Obertonreihen zählen. In seinem „Concerto grosso Nr. 1 für vier Alphörner und großes Orchester“ (2014) kann er dabei aus dem Vollen schöpfen.
Die Musiker:innen des Alphorn-Quartetts stehen einem Orchester gegenüber, das sie an manchen Stellen mit der Imitation der Hornklänge und -schwebungen fast zu verschlucken scheint, um sie dann wieder in den Vordergrund zu stellen und die unterschiedlichen Stimmungen zwischen Orchester und Hörnern, aber auch der Hörner untereinander noch offensichtlicher zu machen. Durch dieses Wechselspiel ergeben sich Wellen aus Schwebungen und Reibungen unterschiedlicher Amplitude; in Kombination mit dem An- und Abschwellen von Lautstärke, Tempo und Frequenz der Bogenwechsel bei den Streicher:innen bleibt die Spannung während des gesamten Stückes zwischen Dröhnen und Flirren aufrecht. Es gibt keine Pausen, ein Grundton - wenn auch nicht im wörtlichen Sinn - trägt das Orchester durchgehend.
„Concert Romanesc“ und „Sinfonietta Op. 60“
Mit dem Hornroh Modern Alphorn Quartet steht das gleiche Ensemble wie bei der Uraufführung 2014 auf der Bühne - seine Mitglieder sind erfahrene Musiker:innen, versiert in zeitgenössischer Musik und in traditionellem Spiel. Eingerahmt wird Haas’ Stück bei den Salzburger Festspielen von Ligetis „Concert Romanesc“ und Leoš Janáčeks „Sinfonietta Op. 60“.
Anders als bei Haas, der in seinem Concerto grosso die Alphörner dezidiert nicht aus folkloristischen Gründen einsetzt, stellen Ligeti und Janacek bewusst Verbindungen zur Volksmusik ihrer Herkunftsländer her und setzen damit politische Statements. Während die Anklänge an tschechische Volkstänze in Janaceks "Sinfonietta" vor allem ein starkes patriotisches und nationalistisches Zeichen setzen, lässt Ligeti als Musikethnologe in seinem Konzert eine Reihe seiner Aufzeichnungen der rumänischen Volksmusik erklingen; dabei sind auch einige im damaligen kommunistischen Regime verpönte Dissonanzen zu hören. Das Stück wurde daraufhin sofort verboten und erst viele Jahrzehnte später wieder aufgeführt.
Gestaltung: Anna Jagenbrein