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Francis Upritchard/Harpune Verlag

Ein Verlag als Bandprojekt

Moby Dick, filettiert

Moby Dick ist vielleicht der berühmteste Wal der Welt und vermutlich das berühmteste Tier der Literaturgeschichte. Diesen Koloss zu Filets zu zerstückeln, ist die Langzeitaufgabe eines kleinen Wiener Verlags mit Namen Harpune. Eingeladene bildende Künstler/innen suchen sich eines der 137 Kapitel von Hermann Melvilles Roman aus und gestalten das bibliophile Filet in Form eines schlanken Büchleins, das der Harpune Verlag mit viel Sorgfalt herausgibt und teils selbst druckt: auf alten, von Hand betriebenen Bleisatz-Druckmaschinen. Sarah Bogner und Josef Zekoff, beide selbst Künstler, machen das.

Das Harpune-Hauptquartier befindet sich in einem Hof-Trakt in Wien-Währing. An der Wandseite stehen drei massive Maschinen: ein Stapelschneider und zwei originale Heidelberger Tiegeldruckpressen, Baujahr 1960. "Gott grüss‘ die Kunst", steht auf einer Plakette auf dem Heidelberger Tiegel - so lautet der traditionelle Buchdruckergruß der Schriftsetzerinnen, Lithografen, Maschinensetzer und Buchdruckerinnen. Zu antworten ist darauf: "Gott grüße sie", sie kleingeschrieben, also: sie, die Kunst.

In der Werkstatt

ORF/ANNA SOUCEK

Josef Zekoff an der Heidelberger Druckmaschine

Büchermachen wie Musikmachen

Von einem der letzten Setzer von Wien hat Sarah Bogner hat das Drucken gelernt, vom Herrn Brandstetter, und sie hat seine Maschinen übernommen. Für die Aufstellung dieser brauchte es einen nicht unterkellerten Raum, denn das Gewicht ist beträchtlich. Sarah Bogner nützt die Druckwerkstatt in Währing auch als ihr Mal-Atelier; da steht auch ein Rollwagen mit Farben und Pinseln, "die Pinsel-Bar", sagt Bogner. Das Interesse für Drucktechniken kam vor etwas über zehn Jahren mit der Gründung des Harpune Verlags, gemeinsam mit Josef Zekoff. Beide sind Künstler und malen, jeder für sich; die Produktion von Künstlerbüchern ist Gemeinschaftswerk. "Diese Bücher bringen viele Leute zusammen, die mit Herzblut an einem Projekt arbeiten. Ob das die Buchbinderin ist, der Künstler, die Drucker, der Setzer, wir, mit den künstlerischen Entscheidungen gemeinsam. Da steckt so viel drin, und das wirkt halt auch einfach weit darüber hinaus noch", so Sarah Bogner, und Josef Zekoff bringt es auf den Punkt: "Der Verlag ist ja eigentlich unser Bandprojekt, kann man sagen. Manchmal Big Band, manchmal Kammermusik. Wir stehen beide allein im Atelier und tun unsere Arbeit, quasi solo, aber als Band zusammen musizieren wir!"

Hugo Balls "Flametti" in Zwei-Verfahren-Technik

Ein Buchprojekt, in dem das Wissen und das Können mehrerer Granden ihrer Zunft gebündelt wurde, war gleich das erste Großprojekt, das Josef Zekoff und Sarah Bogner vor gut zehn Jahren mit dem frisch gegründeten Verlag angingen: der Roman "Flametti oder vom Dandysmus der Armen" des Dadaismus-Erfinders, Lautpoesie-Pioniers und Cabaret-Voltaire-Gründers Hugo Ball. Beim Satz arbeitete der erwähnte Fritz Brandstetter mit, an den Drucktechniken der in Fachkreisen renommierte und mittlerweile verstorbene Kurt Zein, die später prämierte, erste Übersetzung des Romans vom Deutschen ins Englische kam von Catherine Schelbert, und die Grafiken erstellte der dänische Künstler Tal R. "So traditionell das Buch rüberkommt, so radikal ist es dann auch in dieser Kombination von zwei Techniken, nämlich Hochdruck und Tiefdruck", erläutern Zekoff und Bogner, "Also, da haben wir eigentlich versucht, alles reinzupacken, was heute noch in dieser Maler-Buch Tradition geht: Das ist wirklich ein wunderschönes gebundenes Buch, mit handgestochenem Kapital-Band, alles von Hand gebunden, tolles Büttenpapier. Und dann eben diese zwei Drucktechniken drin, die eigentlich immer getrennt sind. Es ist ein Holzschnitt, der die flächige Untermalung bildet und das Licht. Und darauf ist eine Radierung im Tiefdruck-Verfahren, die diese präzise Strich-Zeichnung wiedergibt."

Moby Dick, filettiert

Eine Auflage von dreißig Stück dieses bibliophilen Schmuckstücks wurde produziert - und eine Taschenbuch-Auflage der englischen Übersetzung, die für jedermann leistbar ist. Denn das demokratische Prinzip des Massenprodukts Buch will der Harpune Verlag nicht unterlaufen.

Zwei Jahre arbeiteten Zekoff und Bogner mit ihren Mitstreiterinnen am "Flametti" - danach sollte es etwas "Leichteres", unkompliziertes sein. Es entstand die Idee zu den Moby-Dick-Filets. Hermann Melvilles 1851 erschienener Klassiker wird - kapitelweise - von bildenden Künstlern visuell interpretiert. "Die Zersplitterung des Werkes in die einzelnen Kapitel" nennt das Josef Zekoff, "wie ein Mosaik. Und jedes Steinchen ist von einem anderen Künstler gemacht", sagt er und zieht ein Beispiel aus dem Stapel: Filet No. 111, "Der Pazifik", illustriert von Florian Unterberger. Er hat eigens ein graphisches Alphabet aus Blautönen und räumlichen Formen entwickelt. Wie eine Wasseroberfläche aus Code-Zeichen wirken die Seiten - bei der Präsentation hat Florian Unterberger das Kapitel von diesen blauen, buchstabenlosen Seiten vorgelesen.

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    Anne Roessner

    Anne Roessner/Harpune Verlag

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    Madeleine Boschan

    Madeleine Boschan/Harpune Verlag

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    Jonathan Meese

    Jonathan Meese/Harpune Verlag

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    Francis Upritchard

    Francis Upritchard/Harpune Verlag

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Origami-Wal, Kaffee-Tsunami und Rasierschaumgischt

Der Bildhauer Peter Sandbichler hat Buch-Seiten mit Origami-Technik gefaltet und das flache Papier dadurch verräumlicht; der vielgereiste Künstler Hans Schabus hat mit seiner eigenen Landkarte der Gegend um die Insel Nantucket, die Bleistift-Notizen und auch einen Kaffeehäferl-Rand - möglicherweise auch Tsunami-Welle im Meer - aufweist, gearbeitet; und vom berühmten Magnum-Fotografen Erich Lessing kamen Fotos, die er 1956 am Set der John-Houston-Verfilmung machte. Der gefährliche Wal entpuppt sich als mechanische Puppe, Gregory Peck alias Käpt'n Ahab wird mit Rasierschaum im Gesicht erhascht und die tosende Gischt kommt für die Film-Dramatik aus dem Garten-Schlauch.

Referenzbuch für viele Künstler

Der Schauspieler Matt Dillon hat ein Moby-Dick-Kapitel gestaltet, ebenso wie der Starkünstler Raymond Pettibon, beide mit grobem Pinselspiel. Gerade für die US-amerikanischen Künstler habe der Melville-Roman eine besondere Bedeutung, stellen Zekoff und Bogner fest, da habe ein jeder gleich ein Lieblingskapitel bei Hand. Überhaupt sei es ein Buch, das für viele bildende Künstler eine Referenz darstelle: "Das Buch alleine ist schon so vielschichtig, erstens ist jedes Kapitel eigentlich in sich abgeschlossen. Du lernst etwas über den Wal, du lernst etwas über die Stadt, wie sie das Essen damals gemacht haben, wie sie Tau machen. Wie der Zimmermann den Sarg fertigt. Das sind lauter kleine, abgeschlossene Handlungen. Und da findet sich jeder irgendwo."

Buchcover

ORF/ANNA SOUCEK

Jonathan Meeses Mondparsifal

Auch Jonathan Meese gehört zu den Moby-Dick-Künstlern - er hat das Kapitel gewählt, in dem Käpt'n Ahab auftritt und einen Golddukaten an dem Mast nagelt, um die Schiffscrew für die Waljagd auf Kurs zu bringen. Mit Jonathan Meese hat der Harpune Verlag auch eine umfangreiche und aufwändige Publikation zu seiner "Mondparsifal"-Inszenierung von Bernhard Langs "ParZeFooll" umgesetzt, das ursprünglich für Bayreuth vorgesehen war und dann 2017 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde. An der Publikation im Furor à la Meese, die kopierte Collagen, Holzschnitte, originale Handzeichnungen, Fotos und Textfragmente enthält, haben Sarah Bogner und Josef Zekoff mit dem Künstler in dessen Berliner Atelier gearbeitet und mit einer mobilen Maschine gleich vor Ort gedruckt. Die Künstlerpublikation ist zugleich Partitur, Szenenbild und auf der Bühne eingesetztes Requisit.

Warum Künstler:innen Bücher machen

Es ist nicht der Anspruch des Harpune Verlags, alles selbst zu drucken; die Technik wird dem Konzept und der Form der Künstlerpublikation entsprechend gewählt. Dabei ist es freilich von Nutzen, über Techniken des Buchdrucks, des Schriftsetzens und der Bindung bescheid zu wissen und im letzten Jahrzehnt auch so einiges an praktischer Erfahrung gesammelt zu haben.

Warum machen Kunstschaffende eigentlich Bücher? Und wer liest, betrachtet oder benützt diese aufwändig gestalteten, teils handgemachten, und oft unkonventionellen Werke? Künstlerpublikationen stellen eine extreme Verdichtung eines künstlerischen Werks dar, so Sarah Bogner und Josef Zekoff, wie Zeitkapseln enthalten sie eine Essenz für die Ewigkeit. "Künstler-Bücher sind immer von Künstlern für Künstler gemacht, aus dem eigenen Interesse, miteinander zu kommunizieren und sich das gegenseitig zu schicken. Kommerzielles Interesse kann man da keins drin finden. Das macht diese Form von Kunst auch so frei, weil da eben nicht die großen Interessen drinstecken. Wobei: Es gibt natürlich Künstlerbuch-Sammler, es gibt Museumssammlungen, also der "Flametti" hat es in die New York Public Library geschafft und jetzt auch in die Bayerische Staatsbibliothek nach München, also selbst noch fast zehn Jahre später verteilt sich das so langsam und bekommt dann auch wieder in eine Art von Öffentlichkeit. Denn ein Künstlerbuch ist ja immer was verschlossenes, ein Schatz, der im Planschrank ruht. Und über öffentliche Sammlungen kommt der Schatz dann auch wieder zu den Leuten."

Gestaltung: Anna Soucek

Service

Moby Dick Filet - Harpune Verlag

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