Winnaretta Singer

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Winnaretta Singer

Pariser Salon der Moderne

Eine mehrteilige Sendereihe in "le week-end" über Winnaretta Singer und die Entstehung der musikalischen Moderne in Paris.

In den 1880er Jahren beginnt eine junge Dame in Paris, sich gesellschaftlich einzurichten. Das klingt vorerst harmloser, als es für die europäische Musikgeschichte sein wird: von wegen Strawinsky und Satie, Poulenc und Germaine Tailleferre und viele andere.

Winnaretta Singer, so heißt die Dame, wird 1865 in New York geboren, zieht mit ihrer Mutter zuerst nach London und dann dauerhaft nach Paris. Sie ist eines der vielen Kinder des Nähmaschinenmagnaten Isaac Singer und deswegen eine Millionenerbin und Aktienbesitzerin, die sich trotz zweier Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise nie ernsthaft finanzielle Sorgen machen muss. Das liegt aber auch daran, dass Singer zwar künstlerisch begabt ist - sie ist schon in jungen Jahren eine respektierte, ausgebildete Malerin samt Ausstellungseinladungen, sie ist Organistin und Musikexpertin -, aber auch von nahezu verstörender Konsequenz, Disziplin und Planungssicherheit. Und zwar in wirtschaftlicher und beruflicher Hinsicht ebenso wie in künstlerischer.

Präzises Investment in Kunst

Jene Komponist:innen, die im Lauf des frühen 20. Jahrhunderts in den Genuss von Kompositionsaufträgen durch Winnaretta Singer kommen, werden das überdeutlich spüren: Abgabefristen sind strikt einzuhalten - was übrigens von Strawinsky abwärts sehr selten funktioniert -, Geld fließt exakt nach Vertragsbedingungen und nicht dann, wenn der Komponist gerade wieder einmal Geld braucht. Vor allem besteht sie streng darauf, dass die Uraufführungen in ihrem Salon stattzufinden haben, vorhergehende Teilaufführungen anderswo sind ebenso strikt verboten. Und sie legt fest, dass die Originalnoten, der Klavierauszug und die Orchesterpartitur in ihren Händen landen und in ihren Besitz übergehen, bevor irgendjemand sonst das Werk vervielfältigen darf.

Das ist weniger ein traditionelles Mäzenatentum als ein äußerst präzises Investment in Kunst. Singer wird dafür über Jahrzehnte verehrt und geliebt wie auch gefürchtet werden, und die Musikgeschichte wäre ohne sie anders verlaufen.

Winnaretta Singer

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"Mariage blanc" mit Edmond de Polignac

Winnaretta Singer heiratet in Paris 1893 den gebildeten, aber mittellosen adeligen Amateurkomponisten Edmond de Polignac. Es ist eine "mariage blanc", wie man das in Paris damals nennt: Sie ist lesbisch, er ist schwul, sie ist reich und er ist arm, er braucht Geld und sie braucht gesellschaftliches Renommee. Vor allem aber lieben sie beide Kunst und Musik und haben einen erstaunlich kompatiblen Geschmack.

Daraus wird dann eine kurze, knapp zehnjährige, aber äußerst glückliche Ehe zweier Menschen, die einander zutiefst achten, bewundern und mögen. Sie hört dann auf den Namen Princesse Edmond de Polignac und veranstaltet bis 1939, also mehr als 50 Jahre lang, Konzerte zeitgenössischer - und auch barocker oder mittelalterlicher - Musik in ihren Salons in Paris und Venedig.

Strawinsky, Satie, Poulenc, Cole Porter

Es sind überschäumende Jahre und Jahrzehnte in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und wir richten in unserer mehrteiligen Sendereihe unser ganzes Augenmerk auf das Wirken dieser Princesse de Polignac, die sich über Jahrzehnte den Luxus eines zeitgenössischen Salons samt abendlichen Konzerten leisten kann und will. Werke von Gabriel Fauré und Vincent d’Indy, dann Claude Debussy und Maurice Ravel, immer wieder auch Barockes von Johann Sebastian Bach und Christoph Willibald Gluck sind im Salon zu hören.

Die ersten echten Kompositionsaufträge erhalten Igor Strawinsky und Erik Satie, später die nächste Generation mit Francis Poulenc, Manuel de Falla, Mario Castelnuovo-Tedesco und vielen anderen. Dann klopft der Jazz in Paris an, und Cole Porter sowie Kurt Weill sind im Salon von Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, zu hören. Komponistinnen sind häufiger vertreten als anderswo: Germaine Tailleferre, Ethel Smyth und Armande de Polignac erhalten Aufträge für Kompositionen, die in Winnarettas Salons aufgeführt werden.

Winnaretta Singer

Winnaretta Singer, 1934

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Nazi-Flüchtling Weill erhält den nächsten Auftrag

Auch die Crème de la Crème der damals jungen Interpreten und Interpretinnen tritt in den Salons von Princesse de Polignac auf, und von einigen davon verfügen wir auch noch über Originalaufnahmen: Nadia Boulanger und Clara Haskil, Arthur Rubinstein und Vladimir Horowitz, Dinu Lipatti und dem Organisten Marcel Dupré. Dass die Dame, deren Salons wir besuchen, auch Sozialprojekte mit viel Einsatz unterstützt, sei ebenfalls erwähnt: Der junge Le Corbusier kommt beispielsweise in den Genuss von Architekturaufträgen für den sozialen Wohnbau in Frankreich.

Ungefähr ab 1933 spitzt sich die politische Situation - wie schon vor 1914 - wieder erkennbar und spürbar zu. So lang wie möglich bleibt Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, ihrem Kurs treu und bespielt ihre Salons in Paris. Kurt Weill erhält als Nazi-Flüchtling den nächsten Kompositionsauftrag für seine 2. Symphonie. Und dann gibt es in Paris endlich einen Konzertabend der Würdigung, den nicht Winnaretta selbst veranstaltet. Henry Prunière, Musikwissenschafter und Experte für die Musik von Jean-Baptiste Lully, schreibt über diesen Abend am 21. März 1933 in Paris: "Das einzige Problem dieses Abends im Salle Pleyel zur Ehre von Winnaretta Princesse de Polignac war, aus der Überfülle des Möglichen ein Programm auszusuchen. Es würde nämlich, denke ich, sehr viele und nicht einen Konzertabend brauchen, wenn man all die Musik hören wollen würde, die die Princesse de Polignac verursacht oder inspiriert hat."

Gestaltung

  • Christian Scheib