Ausschnitt des Buchcovers

WALLSTEIN VERLAG

Roman von Susanne Fritz

"Heinrich" - Eine Spurensuche

Ein Soldat der deutschen Wehrmacht, der in russische Kriegsgefangenschaft gerät, und später, im Deutschland der Nachkriegszeit, Architekt wird. Damit weist Heinrich große Ähnlichkeiten mit dem Vater von Susanne Fritz auf. In ihrem neuen Roman erkundet sie die weißen Flecken in dessen Biografie.

Heinrich ist Angehöriger der deutschen Minderheit in Polen und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Als die Nazis einmarschieren, geht er zur Hitlerjugend, 1943, Heinrich ist jetzt 17, wird er Wehrmachtssoldat.

Eines Tages steht er in einem Schützengraben plötzlich einem Russen gegenüber. Die Begegnung mit gezogenen Waffen wird zum Erweckungserlebnis für ihn. "Sie sind damals beide, ohne zu schießen ihrer Wege gegangen", erzählt Susanne Fritz. "Ab diesem Zeitpunkt war mein Vater Pazifist und diese Haltung hat er auch vehement vertreten und vorgelebt."

Susanne Fritz

WALLSTEIN VERLAG

Mutterroman, Vaterroman

2018 hat Susanne Fritz in ihrem Roman "Wie kommt der Krieg ins Kind" das Leben ihrer deutschen Mutter in Polen nachgezeichnet, die nach Kriegsende mehrere Jahre als Zwangsarbeiterin in einem Lager verbrachte. Fritz war mit dem Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert, damals hatte sie akribisch recherchiert, unter anderem im polnischen Staatsarchiv.

Anders bei ihrem neuen Roman "Heinrich". "Bei diesem Buch über meinen Vater habe ich die Lücke zum Prinzip gemacht", so Fritz. "Der Roman beginnt ja damit, dass der Spiegel zerspringt, in den der Junge gerade blickt. Und dieses Bild einer zerschellenden Identität, verbunden mit der Frage, wie dann die lebenslange Suche nach sich selbst aussehen könnte, hat mich sehr beschäftigt."

Der fliegende Heinrich

"Ich suche einen Mann, dessen Leben mit dreiundzwanzig Jahren beginnt", steht als erster Satz im Roman. Dreiundzwanzig ist Heinrich nämlich, als er nach seiner Kriegsgefangenschaft nach Deutschland kommt. Bald darauf beginnt er ein Studium, später wird er Architekt. "Wie kommt dieser Heinrich zur Architektur? Wie kann es sein, dass er, der in einer einfachen Hütte aufgewachsen ist, ein Haus aus Glas konstruiert, wie, dass sich er, der aus dunklen Zeiten stammt, eine transparente Hülle baut." Es sind Fragen wie diese, mit denen Susanne Fritz das Leben Heinrichs umkreist.

Dieser Heinrich sei nicht ihr Vater, betont Susanne Fritz mehrmals, auch wenn ihr Roman der Versuch sei, ihren Vater zu verstehen. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion gelten bei dieser Suche allerdings nichts, weil die Wahrheiten, auf die Fritz aus ist, in keinem Dokument oder Archiv zu finden sind. Hilfreich war es da viel mehr, das Geschehen ins Surreale kippen zu lassen. "Heinrich darf auch immer wieder fliegen", so Fritz, "er darf ins Wasser gehen und sich von seiner Geschichte reinwaschen."

Buchcover

WALLSTEIN VERLAG

Free Jazz

In knappen, kristallinen Sätzen fliegt Susanne Fritz ihrem Heinrich hinterher. Der Rhythmus ist treibend und wahrscheinlich der Musik geschuldet, denn Fritz ist auch Pianistin mit Affinität zum Jazz. Als solche liebt sie auch beim Schreiben die freie Improvisation, die keinen Anfang und kein Ende kennt. "Ich habe das Geschehen nicht chronologisch von der Wiege bis zur Bahre verfolgt, sondern lasse Heinrich verschiedene Lebensabschnitte mehrmals durchlaufen", erzählt Susanne Fritz. "Das war eine spannende Methode, die aber eine große Schwierigkeit mit sich brachte, die Frage nämlich, wo höre ich auf?"

"Ein Leben lang hat Heinrich Wolken fotografiert", schreibt Susanne Fritz an einer Stelle, und dann kommt ein Satz, der die Ästhetik dieses Romans und seine wehenden Wahrheiten wunderbar beschreibt und der lautet: "Auf Wolken ist Verlass."

Service

Susanne Fritz, "Heinrich", Roman, Wallenstein

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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