Textbuch "Francois Villon"

ORF

Textbuch

Francois Villon - deutsche Version

Eine Funkballade für Soli, Chor und Orchester von Anton Heiller, Text von Franz Krieg. Geschrieben 1956 im Auftrag des österreichischen Rundfunks - ORF Radio Wien

  • Dirigent: Der Komponist
  • Spielleitung: Gottfried Preinfalk
  • Solisten: Else Liebesberg (Sopransolo), Sonja Daksler (Altsolo), Julius Patzak (Tenorsolo), Walter Berry (Baßsolo), Eva Kapek (eine Sopranstimme)
  • Als Sprecher wirken mit: Elisabeth Kloiber, Ernst Meister, Guido Wieland
  • Der Chor des Österreichischen Rundfunks - ORF Radio Wien (Einstudierung: Gottfried Preinfalk)
  • Das Große Wiener Rundfunkorchester
  • Tontechnik: Ing. Josef Kudernatsch und Liselotte Lorenzoni.

1. Sprecher

Frankreich 1431
Seit hundert Jahren tobt der Krieg durchs Land.
Jeanne d'Arc brennt auf dem Scheiterhaufen. Gewalt beherrscht Mein und Dein. Unrecht schlägt zu. In diese Zeit wurde Francois Villon, der
Dichter, hineingeboren. Nach einem wildbewegten
Leben, mehrmals vom Galgen bedroht, einmal durch
ein paar Verse vor dem Gehenktwerden bewahrt,
wurde er 1462 aus Paris verbannt.
Im krassen Widerstreit zwischen seiner dichterischen Begnadung und seinem verrotteten Menschsein lag die Tragik seines Lebens.

1. Chor

Das war der arme Francois Villon,
geboren in der grossen Stadt Paris,
verloren an die gottverlorene Welt
der Straßen, feiler Weiber und Spelunken.

2. Chor

Auf dunklen Wegen sucht der Mensch das Licht.

1. Chor

Er liebte Wein und das gezinkte Blatt,
die fremden Würfel und das fremde Gut,
das Hohngelächter und das Ärgernis,
das Unrecht; und die unbezähmte Gier.

2. Chor

Auf dunklen Wegen sucht der Mensch das Licht.

1. Chor

Gott gab sich ihm zur Harfe,
doch er sang das Lied der Welt,
die Psalmen Satanas.

2. Chor

Und doch die ewig unverlorene Sehnsucht
verlorener Söhne nach des Vaters Wort.
Auf dunklen Wegen sucht der Mensch das Licht.

2. Sprecher

Tenorsolo (Villon)

Ich kenne die Qual der ertrinkenden Fliege,
ich kenne die Menschen und was sie bewegt,
die Sonne, den Regen, das Unrecht, die Lüge,
ich erkenne die Frucht am Stamm, der sie trägt,
Ich kenne die Bäume an ihrer Krone,
ich seh' an der Menge der Gleichheit Gesicht,
ich kenne das Nichtstun, ich kenne die Frone,
ich kenne alles, nur mich selber nicht.
lch kenne die Männer, ich kenne die Frauen,
ich kenne den Tag und die Träume der Nacht,
ich kenne die Verzweiflung, den Haß, das Vertrauen,
ich kenne den Schlummer, ich kenne die Wacht.
Ich kenne das wilde schäumende Leben,
des raffenden Todes furchtbar Gesicht,
die Lust der Gewalt und das angstvolle Beben,
ich kenne alles nur mich selber nicht.

Chor

Wer, wer aber kennt sich selbst?

1. Sprecher

Wer aber kennt sich selbst?
Das Dunkel des Unrechts liegt auf den Wegen der Welt,
und es irrt, wer sucht.

Chor

Das Dunkel des Unrechts liegt auf den Wegen der Welt,
und es irrt, wer sucht, und es irrt, wer sucht.
Wer aber sucht, der findet am Ende.

Sprecherin

Aber das Ende ist weit, und tausend Irrlichter
locken in die Freuden des Augenblicks.

Sopransolo

Stärker als die Wahrheit lockt der Irrtum,
und näher steht die Lampe als der Stern.
Ein größeres Wohlgefallen sind
die verborgenen Freuden der Täler und ihre
lärmenden Feste
als der einsame Weg zum Gipfel.

Chor

Das Irdische endet die Stunde, der Gipfel ragt
über die Zeit.

Baßsolo

Aber dem Menschen ist wichtiger,
wie er sich bette und esse und trinke und
angenehm lebe,
wichtiger als der Geist und die Weisheit,
denn verlacht wird der bettelnde Weise und
gelobt der goldene Narr.

Tenorsolo (Villon)

Man spricht von Leben, das der Weise lebt,
der Schattenbürger und Gedankenheld,
der nach den idealen Gütern strebt,
statt nach den Gütern dieser Welt,
statt nach den Gütern dieser Welt,
doch Geist allein, nur auf sich selbst gestellt,
wird auf die Dauer heftig unbequem.
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.
Was nützt die Schönheit hinter Schloß und Tür
was soll ein Herz mir ohne Liebeslohn?
Bezwingst du dich, was hast du schon davon?
Kein Vogel von Paris bis Babylon
frißt dürres Haferbrot und singt dafür.
Arm sein und geistvoll, das ist ein schlecht System:
nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.

Sprecherin

Wie Blei hängt die irdische Not an der Seele
und zieht hinab zu den Dingen des Leides.
Aber schnell vergeht das Vergängliche.
Und das einsame Harz schlägt über verwehten Spuren.

Sopransolo

O sagt, wo kamen sie nur hin:
Livia, die schöne Römerin,
Archipiada, nah verwandt mit Thais in Griechenland?
Und wo Jeanne d'Arc, die man verbrannte
in Rouen mit Haut und Haar?
Wo sind die Frau'n, die noch keiner kannte?
Wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?

Frauenchor

Wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?

Sprecherin

Wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?

2. Sprecherin

Selten sind die Augenblicke der Besinnung und enden in Elegien.
Stark, stark, stark zieht die Last der Glieder
zur Lust, zur Lust der irdischen Dinge.
Aber, aber die Seele wird lahm,
die Seele wird lahm in der Frone des Leibes
und immer verderbter, und immer verderbter,
immer verderbter in seiner Lust.

Tenorsolo (Villon)

Betreibet eure Gaunerei'n
auf welche Art ihr immer wollt.
Gebt Falschgeld aus, nehmt Wucher ein,
tut Mord, tut Mord in eines Fürsten Sold,
schwört falschen Eid zu Gottes Graus,
laßt euch bezahlen und beschenken,
wer leert euch flugs die Taschen aus?
Die Mädchen, die Mädchen in den Schenken.

Chor

Betreibet eure Gaunerei'n
auf welche Art ihr immer wollt.
Gebt Falschgeld aus, nehmt Wucher ein,
tut Mord, tut Mord in eines Fürsten Sold,
tut Mord, tut Mord in eines Fürsten Sold,
schwört falschen Eid zu Gottes Graus,
laßt euch bezahlen und beschenken,
wer, wer leert euch flugs die Taschen aus,
wer leert euch flugs die Taschen aus?
Die Mädchen in den Schenken, die Mädchen in den Schenken.

Tenorsolo

Ihr Dichter, possenreißer ihr,
ihr Tänzer, Sänger, Tagediebe
und wäre noch ein Gauner hier,
der's ärger als ihr alle triebe,
ihr möget, was ihr wollt, beginnen
und neue Schelmerei'n erdenken:
wer teilt sich eures Tags Gewinnen?
Die Mädchen, die Mädchen in den Schenken.

Chor

Ihr möget, möget, was ihr wollt, beginnen
und neue Schelmerei'n erdenken:
wer teilt, wer teilt eures Tags Gewinnen?
Wer teilt sich eures Tags Gewinnen?
Die Mädchen in den Schenken, die Mädchen in den Schenken.

2. Sprecher

Das geile Laster triumphiert: es tanzt die Lust
in ihren grellsten Tönen.

Sprecherin

Und was übrig bleibt, ist grenzenloses,
unaussprechliches Verlassensein.
Doch dem Gott alles nimmt, dem läßt er die Mutter.
Und der verlorene Sohn ersinnt für Sie ein
Gebet zur Königin des Himmels.

Altsolo

O Himmelskönigin, Beschirmerin der Erde
und Allbeherrscherin der Unterwelten,
lass meine arme Christendemut gelten,
dass ich zu den Erwählten aufgenommen werde.
Denn was du mir, der armen Sünderin
an unverdienter Hilfe hast gegeben,
das zieht mich immer näher zu dir hin,
ich halte dich im Tode wie im Leben.
Sieh' mich, ein Menschenkind so arm und alt,
von Weisheit, ach, vermag ich nichts zu nennen,
im Kloster schaue ich das Paradies gemalt
und auch die Hölle, drin die Sünder brennen.
Schütze mich vor aller Schuld und Not,
die du als Jungfrau einen Sohn empfangen,
nach dem wir alle Lebensstunden bangen,
o halte mich, o halte mich im Leben und im Tod!

Chor

Doch keine Kunde,
keine Kunde geht von seinem Sterben.
Des Lebens Ende ist der Tod,
man stirbt, wie man gelebt.
Kein Ende ist der Tod,
die Brücke nur zum Leben ohne Ende.

Sopransolo

Kein Ende ist der Tod,
die Brücke nur zum Leben ohne Ende.

Baßsolo

Der Auserwählte schreitet in das Licht
und der Verlorne taumelt in die Nacht von Anbeginn.
Man stirbt, wie man gelebt.

Chor

Wer will da richten und steht selbst unter dem Gericht?

Baßsolo

Es richtet der Mensch sich selbst
und stirbt seinen eigenen Tod durch sein eigenes Leben.

Baßsolo

Man stirbt, wie man gelebt.

Chor

Doch keine Kunde,
keine Kunde geht von seinem Sterben.

Sopransolo

Es lebt ein Glaube in den Völkern,
daß Maria keinen Sünder verläßt,
der auch nur eine Blume ihr geweiht.
Und ihrer Fürbitt' ist der Sohn geneigt,
der am Kreuz inmitten zweier Schächer,
der Welt Gericht und Erlösung gebracht.

Chor

Der linke Schächer starb zum Tod,
jedoch der rechte starb zu leben.
Und welcher war VilIon?

Tenorsolo

Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt,
sollt gegen uns nicht voller Härte sein!
Je mehr euer Mitleid unser End' umschwebt,
so eher wird euch dereinst der Herr verzeihn.
Seht uns, fünf, sechs, allhier am Galgen baumeln,
den armen Leib, dem wir gelebt allein,
im Morgenwinde auf und niedertaumeln,
verfault, zu Staub zerfressen das Gebein!
Schlagt kein Gelächter auf vor unserer Reih',
ruft an den Herrgott, dass er uns verzeih!

Chor

Ruft an den Herrgott, dass er uns verzeih!

Tenorsolo

Ihr Menschenbrüder, lasset euch erbitten,
gebt uns so ganz nicht der Verachtung preis,
ob wir auch Strick und Schelmentod erlitten,
bedenkt, nicht jeder lebt sein Leben weis'.
Nun wir verröchelt, legt euer Fürbitt' ein
für uns bei Unserer lieben Frauen Sohn,
daß seine Gnade auch mit uns mag sein
und vor der Hölle Grausen uns verschon'!
Was wir gelebt, war schlecht; nun es vorbei,
ruft an den Herrgott, daß er uns verzeih!

Männerchor

Ruft an den Herrgott, daß er uns verzeih!

1. Sprecher

Gott kannte ihn bis auf den Grund in seinem
Leben und in seinem Tod.
Und Gott kennt dich und mich in unserem Leben
und in unserem Sterben.
In seiner Hand liegt das Gewogen und Befunden.

Chor

Das war der arme Francois Villon,
geboren in der großen Stadt Paris,
verloren an die gottverlorne Welt
der Straßen, feiler Weiber und Spelunken.
Was er gelebt, war schlecht; nun es vorbei,
ruft an den Herrgott, dass er ihm verzeih!

Sopransolo

Herr, gib ihm die ewige Ruhe und Deines Friedens Licht.

Chor

Er kannte alles nur sich selber nicht.
Gott aber kannte ihn bis auf den Grund
in seinem Leben und in seinem Tod.
Und wie er starb, so wird er weiterleben.

Sopransolo

Herr, Herr, gib ihm die ewige Ruhe und Deines Friedens Licht!

Chor

Herr, Herr, der Du die Menschen kennst,
wie keiner sich kennt
an ihres Lebens Anfang, Mitte und End',
Du unsre Hilf und Rettung im irdischen Streit,
laß uns nicht zuschanden werden in Ewigkeit!