
GOTTFRIED HELNWEIN
Zwischen Disney und Aktionismus!
Gottfried Helnwein in der Albertina
Bandagierte Körper, verwundete Kinder und Comicfiguren, die Aussehen wie eine albtraumhafte Heimsuchung. Der Künstler Gottfried Helnwein spricht eine Sprache, die mitunter provoziert. Seinen Ruf begründete Helnwein mit hyperrealistischen Darstellungen von Kindern. Am 8. Oktober feierte der gebürtige Wiener seinen 75. Geburtstag. Aus diesem Anlass widmet ihm die Albertina unter dem Titel "Realität und Fiktion" eine umfassende Schau. Doch nicht nur im Museum auch im Wiener Stadtraum ist Gottfried Helnwein derzeit präsent.
25. November 2023, 02:00
Ihre Haut ist blass, die Augen gesenkt, das Gesicht blutverschmiert. Auf 3000 Quadratmetern hat Gottfried Helnwein ein spektakuläres Kunstwerk gestaltet, das in den öffentlichen Raum ausstrahlt und dieser Tage die Fassade des Wiener Ringturm verhüllt. Es ist ein Bild, das verstört, an unschuldige Opfer in aktuellen Krisenherden erinnert und als Mahnmal verstanden werden soll. Ein Bild, das - davon ist der Künstler überzeugt - so nur in Wien gezeigt werden kann, einer Stadt geprägt von einer katholischen Ikonografie des Schmerzes: „Das waren auch die ersten Eindrücke meiner Kindheit. Meine Familie war erzkatholisch und ich habe die meiste Zeit meiner Kindheit in kalten Kirchenschiffen verbracht und die einzige Kunst, die ich gesehen habe, waren Leute, die durchbohrt waren von irgendwas, blutüberströmt waren. Man hat Folterwerkzeuge gesehen, heilige Leichname. Es ging immer um Blut, Schmerz, Demütigung, Sterben und Tod.“, sagt der Künstler Gottfried Helnwein.

"The Murmur of the Innocents 22", 2011
GOTTFRIED HELNWEIN
Das verwundete Kind
Der wehrlose Kinderkörper als Einschreibfläche der Macht ist das Leitmotiv in Gottfried Helnweins Kunst. In seinen hyperrealistischen, fast altmeisterlich gearbeiteten Gemälden stellt Helnwein Kinder dar, die sich aus der Opferrolle befreien. Viele dieser Bilder erreichen monumentale Maßstäbe, messen bis zu 4 mal 6 Meter. „Gerade in den letzten Jahren wird das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in Österreich deutlich - nicht nur in kirchlichen, sondern in staatlichen Institutionen“, so Gottfried Helnwein, „Diese grauenhaften Vorgänge sind erst jetzt, Jahrzehnte später öffentlich geworden. Das heißt in der Gesellschaft, in der ich gelebt habe, sind Kinder misshandelt, gefoltert, umgebracht worden.“
Als Außenseiter der Kunst wird Gottfried Helnwein, der in den 1970er Jahren als Illustrator aufsehenerregender Magazin-Cover bekannt wird, in der Albertina gewürdigt. Seine Malerei, deren technische Versiertheit wohl kaum jemand in Frage stellt, steht mitunter unter Kitschverdacht.

"Pink Mouse 2", 2016
GOTTFRIED HELNWEIN
Ein Ort des kulturellen Kahlschlags
Helnwein hat seine Karriere ohne bedeutende Galerie vorangetrieben. Auf internationalen Kunstmessen sieht man seine Werke kaum. Dafür fiel der Künstler, der selbst wie ein Rockstar auftritt, durch seine Nähe zu Celebrities auf. Schockrocker Marilyn Manson schloss auf Helnweins feudalem Anwesen in Irland den Bund der Ehe, Arnold Schwarzenegger zählt zu Helnweins Bekanntenkreis. Heute pendelt Gottfried Helnwein zwischen seinen Wohnsitzen in Irland und Florida.
1948 wird er in Wien geboren. Die Stadt seiner Kindheit erinnert er als Ort des kulturellen Kahlschlags. Als sein Vater ein Comicheft mit nach Hause bringt, wird die Begegnung mit Donald Duck und Mickey Mouse zur Offenbarung. „Ich habe damals dieses Heft geöffnet und ich weiß, es war wie der Eintritt ins Himmelreich. Es war ein Schock. Das erste Mal habe ich eine Welt betreten, die dreidimensional war, in der es unglaubliche Farben und unbegrenzte Möglichkeiten gegeben hat und das hat mich unglaublich beeindruckt.“ Figuren aus Comics tauchen immer wieder in Gottfried Helnweins Bilduniversum auf. In Gestalt hämisch grinsender Fratzen mutieren sie dort allerdings vom Kindertraum zum Alptraum.
Die Ausstellung „Realität und Fiktion“ ist bis 11. Februar 2024 in der Albertina zu sehen.
Albertina - Gottfried Helnwein Realität und Fiktion