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Die Affäre Finaly - entführt im Auftrag des Vatikans
Zwei Brüder, zehn und elf Jahre alt, standen im Frankreich des Jahres 1953 im Mittelpunkt eines Justiz- und Kirchenskandals, der die französische Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager spaltete. Priester hatten Robert und Gérald Finaly auf Befehl aus dem Vatikan gekidnappt und nach Spanien verschleppt. Zuvor waren die Kinder getauft worden - gegen den Willen ihrer aus Wien stammenden jüdischen Familie, die die beiden seit Jahren verzweifelt gesucht hatte. Doch für die damalige Kirche stand das Sakrament der Taufe über dem Recht der Familie. Heftige Kritik in den französischen Medien brachte die Kirche zum Umdenken. Dafür meldete sich nun ein neuer mächtiger Gegenspieler der Familie zu Wort: Diktator Franco …
28. Februar 2024, 12:00
Trailer zur Sendung
Hörbilder | 27 01 2024
Heldinnen oder Verbrecherinnen? Die Frauen, die Robert und Gérald Finaly das Leben gerettet hatten, waren beides. Hinter den Klostermauern des Ordens von Notre Dame de Sion befand sich während der Nazi-Zeit das Zentrum eines der effizientesten Widerstandsnetzwerke im Raum Grenoble. Todesmutig fälschten die Ordensfrauen Ausweise, versteckten ganze Familien vor der Gestapo, organisierten das Überleben Hunderter von den Nazis verfolgter Jüdinnen und Juden. Darunter befanden sich auch Robert und Gérald, 1941 bzw. 1942 in Grenoble geboren.
Taufe vs. Familienrecht
Deren Eltern, das aus Wien geflohene jüdische Ehepaar Anni und Fritz Finaly, konnten ihre kleinen Söhne noch in einem Kinderheim verstecken, ehe sie von der Gestapo verhaftet und später nach Auschwitz deportiert wurden.
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Gérald und Robert im November 2022
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Die Serie ist ab 27. Jänner 2024 online.
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Die Ordensfrauen, von einer Nachbarin der Finalys alarmiert, nahmen sich der Kinder an und brachten sie bei der Direktorin der städtischen Kinderkrippe von Grenoble unter, Antoinette Brun. Robert und Gérald überlebten.
Als nach dem Krieg jedoch die Schwestern Fritz Finalys, die nach Neuseeland und Palästina geflüchtet waren, ihre Neffen zu sich nehmen wollten, verweigerte Antoinette Brun die Herausgabe der Kinder. Während des folgenden Sorgerechtsstreits ließ sie Robert und Gérald taufen - und sicherte sich damit mächtige Verbündete: Nach dem damaligen Rechtsverständnis der katholischen Kirche stand das vollzogene Sakrament der Taufe nämlich über dem Recht der Familie auf die Kinder.
Franco schaltete sich ein
Die Ordensfrauen, die Robert und Gérald einst vor den Nazis gerettet hatten, versteckten sie von nun an vor ihrer Familie. Die Brüder Finaly mussten ständig die Wohnsitze und Identitäten wechseln. Sie glaubten sich auf der Flucht vor den Juden, die sie entführen und als Arbeitssklaven nach Israel verschleppen wollten. Im Februar 1953 überquerten sie auf einem verschneiten Schmugglerpfad die Pyrenäen, da der oberste Bischof Frankreichs beschlossen hatte, sie auf diese Weise dem Zugriff der Justiz zu entziehen.
Als der Vatikan nach langem Zögern seine Meinung änderte und angesichts der katastrophalen Presse der Rückgabe der Kinder zustimmte, begann ein neuerliches Tauziehen: Spaniens Diktator Franco schaltete sich ein. Als Gegenleistung für die Herausgabe der illegal eingewanderten Kinder wollte er die Übergabe baskischer Unabhängigkeitskämpfer erzwingen, die in Frankreich Asyl gefunden hatten.
70 Jahre nach ihrer dramatischen Entführung, die erst mit ihrer Ankunft in Israel im Sommer 1953 geendet hatte, traf ich die beiden Brüder in Israel. Sie erzählen davon, wie sie als Kinder ihre Entführung erlebt haben und wie sie später mit den traumatischen Erlebnissen umzugehen gelernt haben.
Text: Georg Renöckl, Autor, Journalist und Feature-Autor
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"Entführt im Auftrag des Vatikans. Die Affäre Finaly." Von Georg Renöckl, 28.01.2024